■ Press-Schlag: Kicker zur Sonne
Über diese Gewerkschaft, die gar keine sein will, ist leicht spötteln. Als ihre Mitglieder in einem Frankfurter Hotel nämlich zur jährlichen Delegiertenversammlung eintrafen, bekamen sie ein Zettelchen in die Hand gedrückt, auf dem gleich unter Punkt eins zu lesen stand: „Die Kosten, die durch die Teilnahme an der Versammlung entstehen, sind steuerlich absetzbar.“ Na prima, haben wir es doch immer gewußt, unseren Kickern geht es doch sowieso nur ums Geld. Und sind in einem der extremsten Arbeitsmärkte, den unser Land anzubieten hat, Solidarität und Vision im Kampf um mehr Rechte nicht sowieso unvorstellbar?
Solche Überlegungen auszuräumen, war die diesjährige Delegiertenversammlung der Vereinigung der Vertragsfußballer (vdv) nicht gerade angetan. Delegierte von nur 14 der 36 Profiklubs waren gekommen. Der hohe Organisationsgrad (über 80 Prozent der Profis sind Mitglied der vdv) täuscht nur wenig darüber hinweg, daß viele Spieler ihre Vereinigung mehr als Einkaufsgemeinschaft denn als Interessenvertretung verstehen. Ob Möbelhaus oder Umzugsspedition, Banken oder Reisebüros, insgesamt 28 Unternehmen bieten den Fußballgewerkschaftlern günstige Geschäftskonditionen an. Und bei manchem scheint sich das Gewerkschaftsleben darin auch schon zu erschöpfen.
Die Abwahl von Stefan Lottermann als Vorsitzenden zeigte zudem, daß es mit der vdv auch sonst nicht zum besten stand. So nannte der ohne Gegenstimme gewählte neue Vorsitzende Jürgen Rollmann als seine Ziele auch die „finanzielle Konsolidierung“ und den „sorgsamen Umgang mit den Mitgliedsbeiträgen“. Was wohl den Umkehrschluß zuläßt, daß dies bislang nicht der Fall war. Zwar ist die vdv angeblich nicht verschuldet, bei einem Jahresbudget von 973.000 Mark (1993) hatte man sich mit einem repräsentativen Büro in Frankfurt und einem festangestellten Geschäftsführer wohl trotzdem etwas verhoben. Die Doppelrolle von Lottermann, der nicht nur Vorsitzender, sondern auch jener Geschäftsführer war, hatte zudem öffentliche Beschuldigungen zur Folge, in denen ihm finanzielle Manipulationen vorgeworfen wurden. Davon wurde Lottermann durch die Delegierten entlastet, aber seine Ära bei der vdv beendeten sie trotzdem. Lottermann wurde abgewählt und in die Arbeitslosigkeit entlassen.
Als der kürzlich beim MSV Duisburg entlassene Torwart Jürgen Rollmann sein sehr pragmatisches Wahlprogramm vorstellte, drängte sich bald der Eindruck auf, daß bei der vdv auch in ihrem siebten Jahr noch viel Grundlagenarbeit erledigt werden muß. Das Serviceangebot soll „dezentralisiert“ und die Leistungen „erweitert“ werden und bei den Ostklubs sollen verstärkt Mitglieder geworben werden. Außerdem nannte Rollmann als eines seiner Ziele, „daß wir zu einem vom DFB respektierten Berufsverband werden“. Der Fußballbund hat die vdv bislang nämlich möglichst ignoriert.
Das klang alles sehr lebensnah, was wohl auch ein wenig das Problem ist. Ein utopisches Moment würde der vdv nämlich gar nicht schaden. Daß sie noch immer keine wirkliche Stimme im Fußball ist, liegt nicht nur an der am Montag mehrfach kritisierten Berichterstattung über sie. Um auch von nicht Fachinteressierten wahrgenommen zu werden, müßte der Berufsverband weniger den Eindruck eines Schutzvereins gegen Börsenkräche vermitteln. Denn zu wenig meldet sich die vdv bei Fragen zu Wort, die über Vertragswerk, Versicherungen und Finanzen hinausgehen. Einmal forderte Rollmann den „mündigen Spieler“. Wie der aber sein soll, blieb unbestimmt. Vielleicht wie er selbst? Christoph Biermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen