Blitz aus der Gosse

Der Bauer-Verlag plant ein Schundblatt, das die „Bild“- Zeitung noch in den Schatten stellen soll  ■ Von Ulla Küspert

Brauerzunft und Öffentlichkeit liefen Sturm, als seinerzeit bekannt wurde, daß hier Bier auf den Markt kommen sollte, das nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut ist. Kaum auszudenken, was passierte, wenn man wüßte, daß übermorgen einer Jauche in Bierflaschen feilbieten will.

Handelt es sich hingegen um Presseerzeugnisse, womöglich noch von einem der Größten der Innung, darf die Gülle überm Land ausgekübelt werden. Erst wenn Klage über Vergiftungsfolgen geführt wird, erhebt womöglich jemand den Zeigefinger. So war es jedenfalls bisher.

In seiner heutigen Sitzung sieht sich der Deutsche Presserat in Bonn mit einem solchen Fall von Verschmutzungsgefahr konfrontiert. Bei dem inkriminierten Objekt handelt es sich um ein tägliches Fünf-Groschen-Blatt, das laut Insidern „noch bevor der erste Schnee fällt“, aus dem Hause Bauer zu befürchten ist, um der Bild-Zeitung das Abwasser abzugraben. Arbeitstitel: Blitz.

Förmlich mit der Nase darauf gestoßen wurde das Selbstkontrollorgan der Pressegilde von der Hamburger Bundestagsabgeordneten Marliese Dobberthien. Die Sozialdemokratin, vormals Rundfunkrätin beim Süddeutschen Rundfunk, benachrichtigte das Gremium von ihrem Interventionsversuch beim Bauer-Verlag. Ende August hatte Dobberthien in einem offenen Brief an Großverleger Heinz Bauer appelliert, den Start dieser Untat zu verhindern. Mit Entsetzen habe sie zur Kenntnis genommen, daß ein Blatt geplant sei, „das alles in den Schatten stellen würde, was es bislang an Boulevardjournalismus in Deutschland gibt“.

Baby im Fleischwolf

Das trash tabloid, so der salonfähige englische Ausdruck für derartige Erzeugnisse, rührt der einschlägig belastete Klaus Helbert (28) in Wiesbaden zusammen. Dessen gleichnamigen Verlag hatte Bauer vor fünf Jahren zur Hälfte gekauft. Seither vertreibt und vermarktet er auch dessen Entgleisungen Blitz Illu und Coupé und kassiert von den rund 40 Millionen Mark, die sie jährlich abwerfen, entsprechend ab.

Nicht nur beim Spiegel, der jüngst über Bauers skrupellosen Schmutz-Yuppie berichtete, auch bei Dobberthien hatten sich Journalisten beschwert, die von Helbert durch verheißungsvolle Stellenanzeigen angelockt worden waren. Dobberthien: „Nach den mir vorliegenden eidesstattlichen Erklärungen titelt Helbert bei Einstellungsgesprächen u. a. Schlagzeilen wie ,Baby kam lebendig in den Fleischwolf‘ und ,Vater traktiert Kleinkind mit Lötkolben‘. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt soll der Bewerber seine Bereitschaft erklären, mit solcherart Titelstories aufzuwarten.“ Helberts Standardformel laute, so hatten ihr Bewerber berichtet: „Wir steigen hinunter in die Gosse. [...] Wir gucken nicht durch Schlüssellöcher, wir öffnen gleich die ganze Tür.“

Bauer blockt ab

Bald schon will Helbert tagtäglich mit dem Dreck aus der untersten Gosse nach Springers Bild (70 Pfennig, 3,4 Millionen Auflage) werfen. Die sei den Leuten viel zu zahm geworden. Auf die Frage, ob es bei ihm keinerlei Tabus gebe, antwortete Helbert dem Branchendienst text intern scheinheilig: „Blitz wird das bringen, was die potentiellen Käufer wünschen und erwarten.“ Nach Bauers Stellungnahme gefragt, blockt sein Büro ab: Offene Briefe pflege der Verleger nicht zu beantworten. Eine angekündigte Auskunft, ob Blitz trotz allem erscheine, blieb Verlagssprecher Roman Köster schuldig. – „Aus ehtischer Selbstverpflichtung“, sagt Marliese Dobberthien, „sollte eine solche Zeitung gar nicht erst erscheinen.“ Die SPD-Frau will mit ihrer Aktion jedoch keineswegs den Staat auf den Plan rufen. Dobberthien setzt auf den öffentlichen Diskurs, auf „intrinsische Selbstkontrolle“. Deshalb richtete sie Kopien ihres Bauer-Briefes nicht nur an den Presserat, sondern auch an die in ihm vertretenen Verbände. Für den Zeitschriftenverleger-Verband BDZV, dessen Mitglied Bauer ist, ließ Hauptgeschäftsführer Dr. Dirk Barton auf Anfrage wissen, das geplante Boulevardblatt erfülle den Verband „mit großer Sorge“. Ein Produkt, „dessen Konzeption auf der Mißachtung der Wahrheit, der Persönlichkeitssphäre und der Menschenwürde beruht, wäre ein Novum, das der Pressekultur in Deutschland schweren Schaden zufügen würde“. Für journalistische Verfehlungen sei allerdings der Presserat da. Doch dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns bedauert als erstes, daß man „ja nicht prophylaktisch tätig werden kann“. Kommt darauf an, was man darunter versteht.