Hauen & Stechen: Generationskonflikt?
■ Ulrich Greiners Abgang mit Aplomb als Feuilletonchef der „Zeit“
Daß nun auch der Feuilletonchef der Zeit, Ulrich Greiner, in die Klage über „das erbärmliche Niveau der politischen und intellektuellen Debatte in Deutschland“ (Die Zeit vom 16.9.1994) einstimmt, ist nicht sehr erstaunlich. Die Klage ist ja schon zu einem allerseits beliebten gebildeten Gemeinplatz geworden – Greiner übernimmt sie aus einem jüngst im Spiegel erschienenen Essay von Peter Schneider. Man stutzt allerdings, wenn es dann heißt, daß eine Kollegin aus dem gleichen Hause – Iris Radisch, die Literaturredakteurin der Zeit – den Beleg für die Erbärmlichkeit geliefert haben soll, und zwar in ihrer Kritik des neuen Buchs von Botho Strauß. Steht so ein interner Konflikt dem Publikum erst einmal schwarz auf weiß vor Augen, taz-Leser wissen das, muß (will) meist eine(r) gehen. Iris Radisch konnte es nicht sein, denn Ulrich Greiner würde ihr sicher nicht hinterherhöhnen. Blieb also die Frage, ob der Text Greiners eigenen Abgang mit Aplomb einleiten sollte, was sich nun bestätigt. Ulrich Greiner gibt seinen Posten als Feuilletonchef der Zeit auf.
Ein Generationskonflikt? Neben Iris Radisch werden noch zwei Altersgenossen anhand ihrer Strauß-Verrisse der intellektuellen Erbärmlichkeit überführt, Gustav Seibt von der FAZ und Thomas Assheuer von der Frankfurter Rundschau. Den dreien sei eine „aggressiv- triumphierende Tonlage“ gemeinsam, „Herabsetzungsmetaphorik“ und spitzfindige Sprachkritik, so Greiner, ersetzten das fehlende kritische Argument. „Der ,hohe Ton‘ von Botho Strauß und seine ,verrutschten Metaphern‘“, heißt es weiter, „sind Ausdruck einer Anspannung und Anstrengung, das Nichtbegriffene zu begreifen und das Nichtgesehene zu sehen. Er durchschaut die geläufigen Tröstungen: die ideologischen Verläßlichkeiten und die literarischen Fluchtbewegungen.“
Der Streit um Botho Strauß' neues Buch „Wohnen Dämmern Lügen“ wird von Greiner als ein Konflikt dargestellt, in dem eine neue Generation – Greiner nennt sie die Neunundachtziger – gegen diejenigen vorrückt, die heute das Establishment stellen: die Achtundsechziger. Diese Deutung hat ganz nebenbei den Vorteil, daß der eigene Abgang als der einer Generation inszeniert werden kann. Greiner bemüht dazu den Soziologen Karl Mannheim und dessen Schrift über „Das Problem der Generationen“ von 1928. Das mag man reichlich unbescheiden finden, und man mag auch Greiners Urteil über die Qualitäten der Straußschen Prosa nicht teilen, aber es ist vielleicht doch etwas dran an seiner Diagnose. Aber was soll das heißen? Werden jetzt die „Achtundsechziger, obgleich noch rüstig, aufs Altenteil geschickt“, wie Greiner fürchtet?
Wohl kaum, und man wird sicher auch vom rüstigen Greis Greiner noch so manches zu lesen bekommen. Greiner tut die heftige Kritik an Botho Strauß als „ideologische Scheindebatte“ ab, die nur die Generationsdifferenz „verdeckt“, die jetzt als Generationskonflikt sichtbar werde. Es mag sein, daß die überschießende Energie in den Angriffen auf Botho Strauß sich auch aus dem Willen zur Macht speist, aus der „Selbstbehauptungs- und Durchsetzungsenergie“ einer nachrückenden Generation. Ginge aber der Konflikt darin auf, wie Greiner suggeriert, dann wäre wohl kaum mehr als wütendes Stammeln herausgekommen. Und das läßt sich den angeklagten Rezensenten beim schlechtesten Willen nicht vorwerfen. Kein Essay ist in den letzten Jahren mit solcher Detailbesessenheit um und um gepflügt worden wie der „Anschwellende Bocksgesang“, kein Prosaband so sehr wie „Wohnen Dämmern Lügen“.
Greiner unterschlägt einen entscheidenden Punkt des Mannheimschen Konzepts der Generation. Der Zusammenhang einer Generation ergibt sich nicht aus einer einheitlichen Ideologie, an der sich die Generationsgenossen orientieren, sondern aus sozialisierend wirkenden Deutungsbedürfnissen, die zu ganz unterschiedlichen, möglicherweise widersprüchlichen Überzeugungen führen können. Offenbar hat das Jahr 1989 solche Bedürfnisse erzeugt. Die Beiträge von Botho Strauß dazu sind mit guten Gründen, nicht mit „aggressiver Ignoranz“ (Schneider/Greiner) zurückgewiesen worden.
Die Generationsgenossen Radisch, Seibt und Assheuer werden nicht so leicht wieder einen solchen Grund zur Einigkeit finden wie das Straußsche Werk der letzten Jahre. Die generationsspezifische Einheit im Deutungsbedürfnis, das sollten gerade Achtundsechziger wissen, verbürgt keinen Konsens, ganz im Gegenteil. Die Generation mag eine aufschlußreiche analytische Kategorie sein, mit der sich im nachhinein kraß verschiedene Optionen auf gleiche Gründe zurückverfolgen lassen. Aber wo sie zur Legitimationsgrundlage des Redens und Handelns wird, herrscht bald der Kretinismus.
„Was haben die Neunundachtziger?“ will Greiner am Ende wissen. Was sie satt haben, läßt sich leichter sagen: den Narzißmus derjenigen, die alles wenden wollten und nun, da das nicht so ganz und gar funktioniert hat, wenigstens alles verbockt haben wollen. Jörg Lau
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