Glückliche Erben der DDR-Gigantomanie

Gestern ging in Rostock der größte Kraftwerksneubau in Ostdeutschland ans Netz / Verfeuert wird Import-Steinkohle / Westdeutsche Energiekonzerne setzen DDR-Pläne um  ■ Von Susanne Krispin

Berlin (taz) – Neben dem Kühlturm des neuen Steinkohlekraftwerks Rostock schrumpft der Leuchtturm von Warnemünde auf Spielzeugformat. Als gestern der bislang größte Kraftwerksneubau in Ostdeutschland, ein 500-Megawatt-Meiler, in Betrieb genommen wurde, war der Kanzler höchstpersönlich zugegen.

Ein Betreiberkonsortium aus westdeutschen Stromfirmen, darunter die Bayernwerke, PreussenElektra und RWE, haben hier mit 1,3 Milliarden Mark zu Ende geführt, was in der DDR bereits angedacht worden war. Ursprünglich wollte man allerdings sogar zwei dieser Riesenwerke in Rostock bauen, die mit heimischer Braunkohle befeuert werden sollten. Dahinter stand die Autarkie-Idee der DDR-Energiewirtschaft. Die neuen Bauherren wollen jetzt den Strom aus billiger Importkohle herstellen.

Damit nach der Wende möglichst schnell gebaut werden konnte, verzichtete die damalige Landesumweltministerin Petra Uhlmann auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die inzwischen geschaßte Ministerin macht jetzt die Öffentlichkeitsarbeit für PreussenElektra, einen der Kraftwerksgesellschafter.

Einigungsvertrag begünstigt Investoren

Den westdeutschen Stomern kam außerdem der Einigungsvertrag zupaß. In ihm wird der Jahrhundertvertrag über die Nutzung der westdeutschen Steinkohle ausgehebelt. Darin ist vorgesehen, daß die Stomkonzerne jeweils eine bestimmte Menge deutscher Steinkohle abnehmen müssen, die wesentlich teurer ist als die Ware auf dem Weltmarkt. Dieser Preis wird über den Kohlepfennig an den Kunden weitergegeben.

Weil der Jahrhundertvertrag in Ostdeutschland nicht gilt, kann hier Importsteinkohle aus Südafrika, Kolumbien, den USA oder Australien verfeuert werden, die dort überwiegend im Tagebau gewonnen wird. Nicht nur Kolumbien steht unter Verdacht, daß dort Kinder für die Schwerstarbeit eingesetzt werden.

Die importierte Kohle kostet etwa 85 Mark pro Tonne und damit nur etwa ein Drittel der deutschen Steinkohle. Weil das Kraftwerk direkt am Hafen liegt, fallen außerdem so gut wie keine Transportkosten an.

150 Tonnen Kohle wandern stündlich in den Ofen. Der dabei erzeugte Strom wird ins überregionale Netz eingespeist. Rostock verfügt selbst über ein kleines Kraftwerk in Marienehe, das mit Erdgas betrieben wird und die Stadt mit Fernwärme versorgt.

Proteste gegen Verschwendungssucht

Seit 1990 protestiert der Verein Energiewende Nord gegen den Steinkohleriesen. „Damals schwebte immer noch das Atomkraftwerk in Lubmin als Damoklesschwert über uns“, sagt Johann Georg Jäger. „Damit das AKW nicht wieder angefahren wird, hielten wir das Steinkohlekraftwerk für die bessere Alternative, darum haben wir erst relativ spät mit unserem Protest begonnen.“ Der Verein, der aus einer kirchlichen Umweltgruppe in Greifswald und Rostock hervorgegangen ist, demonstriert vor allem gegen den Energie-Verschwendungswahnsinn dieses gigantischen Kraftwerkes. Von den 1.200 Megawatt thermischer Leistung entweicht die größte Menge, nämlich 700 Megawatt, als heiße Luft durch den Kühlturm. Damit hat das Werk einen Wirkungsgrad von weniger als 50 Prozent. 500 Megawatt werden für die Stromerzeugung genutzt. Nur in Spitzenzeiten werden etwa 150 Megawatt Abwärme in das Heizungssystem eingespeist. Jetzt hat der Verein bei der Europäischen Union eine schriftliche Beschwerde eingereicht, in der er gegen die fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung beim Kraftwerksbau protestiert. Die war nicht nötig, so die Betreiber, da das Werk schon zu DDR-Zeiten konzipiert worden ist.