„Was Hintze sagt, ist Augenwischerei“

■ Dieter Roth von der „Forschungsgruppe Wahlen“ zum Stimmverhalten der unter 25jährigen: In dieser Gruppe hätte eine rot-grüne Koalition eine große Mehrheit

taz: Wie wichtig sind die Jungwähler bei der Bundestagswahl?

Dieter Roth: Die Jungwähler, also die unter 25jährigen, machen etwa neun Prozent der Wahlberechtigten aus, spielen in der Wahrnehmung aber eine wichtige Rolle.

Warum?

Wer die Jugend gewinnt, dem gehört die Zukunft. So lautete zumindest ein SPD-Slogan aus der Zeit, bevor es die Grünen gab.

Wie viele Erstwähler dürfen mitentscheiden?

Die vier Jahrgänge machen 5,5 Prozent der Wahlberechtigten aus.

Nutzen die jungen Leute ihre Macht?

Die Erstwähler machen häufiger von ihrem Wahlrecht Gebrauch als die nächste Altersgruppe. Da spielt das Neuigkeitserlebnis eine Rolle und der Wunsch, Kenntnisse über das politische Leben zu überprüfen, die aus der Schule stammen. Bei den über 22jährigen ist dann die Ablenkung durch persönliche Fragen besonders hoch. Weil sie meist nicht mehr bei den Eltern wohnen, müssen sie aktiver sein, wenn sie ihr Wahlrecht ausüben wollen. Die geringere Wahlbeteiligung liegt aber keinesfalls an einem geringeren politischen Interesse. Das ist durchaus da.

Trotzdem gehen immer weniger junge Menschen zur Wahl. Warum?

Das ist kein jugendspezifisches Phänomen. Es gibt in allen Altersgruppen einen längerfristigen Trend, weniger zur Wahl zu gehen. Wenn sich Veränderungen abzeichnen, dann fungieren Jugendliche immer als Trendverstärker.

Welche der großen Parteien können am 16. Oktober die meisten Menschen unter 25 gewinnen?

Das wird nicht sehr viel anders sein als 1990. Damals war im Westen in der Gruppe der unter 25jährigen und in der der unter 30jährigen die SPD stärker als die Union. Besonders groß war der Vorsprung der Sozialdemokraten bei den jungen Frauen. Im Osten war in beiden Gruppen die CDU stärker als die SPD.

Wie stehen die Bündnisgrünen da?

Die Bündnisgrünen holen bei der Jugend mindestens das Doppelte wie in der Gesamtheit.

Noch zum Jahreswechsel stand die CDU sehr schlecht da bei der Jugend. Nach der Europawahl war Generalsekretär Peter Hintze stolz darauf, seine Partei habe bei den Jungwählern den stärksten Anteil vorzuweisen. Was ist da passiert?

Was Hintze sagt, ist reine Augenwischerei. Die CDU hat bei der Europawahl knapp 29 Prozent der Jungwähler gewonnen, die SPD 27 Prozent. Das sieht nur gut aus, aber die Jungen wollen in ihrer Mehrheit die Regierungsparteien nicht. Wenn Sie vergleichen, hatten sie für die Regierungsparteien 34 Prozent und für SPD und Grüne 47 Prozent.

Was ist den Wählerinnen und Wählern unter 25 wichtig: Personen, Themen oder Programme?

Themen sprechen diese Gruppe am meisten an. Sonst würden sie nicht so stark die Grünen wählen. Die Gruppe der Jungwähler hat den Erfolg der Grünen letztlich herbeigeführt.

Wie läßt sich das politische Interesse der Jugendlichen in politisches Engagement umwandeln?

Junge Menschen engagieren sich meist nicht in den Parteien, weil ihnen dort Strukturen so verkrustet erscheinen. Sie finden dort nicht das wieder, was sie über Demokratie gelernt haben und was ihnen selbst wichtig ist: wirkliche Vielfalt und die Möglichkeit, frei zu entscheiden. Wenn die Parteien in ihren Strukturen offener werden, werden sie für diese Gruppe auch wieder attraktiver sein. Interview: Hans Monath