■ Radiodays
: Freitag

Es ist natürlich nichts Neues: Zeit spielt heutzutage nur noch die Nebenrolle eines Wirtschaftsfaktors: „Time is money“, lautet die Würgeformel, die sich mit zunehmender Reife des Trägermenschen immer tiefer in sein Bewußtsein schraubt. So kommt es zur perversen Zeiterscheinung, daß ein Herzinfarkt mit Anfang vierzig fast zur Trophäe wird und Durchs-Leben-Bummeln als frivol gilt. Fern ist die Zeit, als Sinnesfreund Dante vierzigjährig und entspannt durch den Wald seines „Infernos“ schlenderte und dabei weise Rückschau und scharfe Vorschau hielt. Langweilig, ja ausgetrocknet wie ein Wadi im August sind dagegen unsere gehetzten Menschen in der Lebensmitte. Sie mögen reich sein – zu erzählen haben sie wenig! Wie schön, daß es auch Ausnahmen gibt. Zum Beispiel Lothar Stemwedel, der heute in den Essay-Passagen des SFB3 quasi vom Sessel aus über sich plaudert, in seinem Ich herumblättert und die Karten auf den Tisch legt. Darin lesen wir, daß auch am Weltflaneur die Marke Vierzig nicht vorübergeht. Er kriegt das Bibbern vor dem Countdown, schaut Freund und Feind auf die Finger: „Wie haben die's gemacht, was hab' ich aufzuweisen?“ Er zählt die Jahre in der gleichen Wohnung, beklagt – mit Spitze gegen seine jungenhaften Träumchen – das Fernbleiben der Adjani und der Deneuve. Der Bonvivant mit schmalem Etat sieht Freunde „weiterkommen“, während sich in seiner Wohnung nur die Bücher und Insekten mehren. Sein bester Freund: Marienkäfer Doppelpunkt. Heiter und ohne Larmoyanz schreibt er sich genau das Schreckgespenst der Arbeitshelden auf den Leib: verträumt, verarmt und single. Aber: Er feiert! Denn das Leben ist Roulette, sein Schlachtruf lautet: Nichts geht mehr, ich geh' mit! Um 23.00 Uhr. GeHa