Mord im Beisein der US-Soldaten

Proteste gegen Untätigkeit der US-Truppen auf Haiti bei Übergriffen der haitianischen Polizei gegen Demonstranten / Vermittler Carter lobt General Cédras in höchsten Tönen  ■ Von Andrea Böhm

Washington (taz) – Sie lassen sich weder durch US-Soldaten noch durch Fernsehkameras stören: Seit Tagen geht die haitianische Polizei mit Schlagstöcken und Gewehren gegen Zivilisten vor, die sich zur Begrüßung der US-Truppen auf den Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince versammeln. Nach Berichten von Augenzeugen wurden am Dienstag mindestens zwei Menschen von der Polizei zu Tode geprügelt.

In den USA wächst daher die Kritik von Menschenrechtsgruppen und Exilhaitianern an der Untätigkeit der Besatzer. „Solche Szenen dürfen sich einfach nicht wiederholen“, erklärte Jocelyn McCalla, Direktor der „National Coalition For Haitian Refugees“ in New York. „Es ist ein Skandal“, sagte James O'Dea, Direktor des Washingtoner Büros von amnesty international in der Washington Post, „wie die US-Armee ihre Rolle mit dem haitianischen Militär koordiniert, während auf der Straße Leute zu Tode geprügelt werden.“ Sprecher des Pentagon hielten jedoch daran fest, daß die „Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung“ bis auf weiteres der haitianischen Polizei überlassen bleibe.

Am Dienstag meldete sich erstmals nach dem Einmarsch der US- Truppen Haitis Präsident Jean- Bertrand Aristide zu Wort. Aristide war Berichten zufolge empört über das Abkommen, das Expräsident und Clinton-Emissär Jimmy Carter am Sonntag mit dem Putschführer Raoul Cédras und dessen Premierminister Emile Jonassaint ausgehandelt hatte. Die beiden Militärführer Cédras und Philippe Biamby müssen demnach erst am 15. Oktober zurücktreten, dürfen im Land bleiben und bekamen die umgehende Aufhebung der Sanktionen in Aussicht gestellt, während Aristides Rückkehr nicht erwähnt wurde. Aristide gab am Dienstag eine Stellungnahme heraus, in der wiederum die amerikanische „Operation Restore Democracy“ und der Einmarsch von 15.000 US-Soldaten mit keinem Wort erwähnt werden. Aristide beschwor erneut, eine Nation auf Grundlage des Gesetzes „ohne Gewalt und Rache“ aufzubauen. „Deswegen müssen wir an den Abkommen festhalten, die wir bereits unterzeichnet haben – vor allem an dem Abkommen von Governors' Island.“ Die Einhaltung dieser Vereinbarung sowie der UNO-Resolutionen „werden uns zur Demokratie zurückführen“. Der Carter- Cédras-Deal verletzt mehrere Punkte der UNO-Resolution 940 vom 31. Juli 1994. Unter anderem wird darin festgelegt, daß die Handelssanktionen gegen Haiti erst nach der Rückkehr Aristides aufgehoben werden können. Fernsehberichten zufolge soll Aristide auch behauptet haben, im Besitz einer schriftlichen Zusicherung der Clinton-Administration zu sein, wonach paramilitärische Unterstützer des Militärregimes innerhalb weniger Tage nach dem Einmarsch der US-Truppen entwaffnet werden sollen. Das Pentagon erklärte, von einem solchen Schriftstück nichts zu wissen.

Während Vertreter der Clinton- Administration, vor allem Sicherheitsberater Anthony Lake und der Haiti-Beauftragte William Gray, in vertraulichen Gesprächen versuchen, Aristide zu beruhigen, verursacht der vermeinliche Held des letzten Wochenendes zunehmend betretene Gesichter im Weißen Haus. Jimmy Carter, Expräsident und Krisendiplomat mit ausgeprägter Neigung zu Alleingängen, entpuppt sich immer mehr als Ein-Mann-Fan-Club von Haitis General Raoul Cédras. Carter schilderte den Generalleutnant, der im offiziellen Jargon der Clinton-Administration als „Bandit“ eingestuft wird, als aufrechten Offizier, auf dessen Ehrenwort er sich verlassen habe. Nach seiner Rückkehr aus Port-au-Prince erklärte Carter, er habe sich in einer „höchst emotionalen Rede“ bei Cédras und den anderen haitianischen Militärs für „die Politik meines Landes, insbesondere das Embargo, entschuldigt“. Nach Angaben der Los Angeles Times soll Carter Cédras eingeladen haben, an seiner Sonntagsschule in Georgia Unterricht zu geben.