Wildwuchs im Osten

■ Teilzeit soll Jobs in den Kitas retten / Kündigungsschutz gibt es nicht

Berlin (taz) – Was beim Automobilkonzern Volkswagen in Westdeutschland undenkbar wäre, ist für viele Erzieherinnen in Kindertagesstätten im Osten schon längst Realität: Tausende von ihnen mußten bisher individuellen Arbeitszeitverkürzungen zustimmen, ohne einen Lohnausgleich zu erhalten. „Da herrscht Wildwuchs“, so Andreas Splanemann, Sprecher der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) in Brandenburg. Trotz monatelanger Vorlaufzeit gelang der Gewerkschaft in den neuen Ländern erst ein einziger landesweiter Rahmenvertrag zur Beschäftigungssicherung.

Wie berichtet, erlaubt der jüngste Tarifabschluß für die neuen Bundesländer, daß die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst von 40 auf bis zu 32 Stunden verkürzt werden kann, wenn damit Jobs gesichert werden. Die genauen Konditionen und der Teillohnausgleich sollten auf Landesebene ausgehandelt werden. Im Bundesland Sachsen sieht der unlängst abgeschlossene Rahmenvertrag jetzt immerhin einen Teillohnausgleich um bis zu 38 Prozent vor. Gleichzeitig schützt die Regelung vor betriebsbedingter Kündigung für maximal drei Jahre. Die neue Rahmenvereinbarung muß allerdings durch lokale tarifliche Abschlüsse ausgefüllt werden.

Würde das Beispiel Sachsen Schule machen, wäre für die Erzieherinnen im Osten schon viel gewonnen. Die Mehrzahl der Teilzeitbeschäftigten verfügt nämlich nur über individuelle Änderungsverträge, die keinen Lohnausgleich vorsehen. In Brandenburg beispielsweise arbeiten nach Angaben der ÖTV etwa ein Viertel der Kita-Beschäftigten, etwa 7.000 Betroffene, mehr oder weniger gezwungenermaßen auf Teilzeit. Aber nur für 1.600 Beschäftigte in den Städten Brandenburg und Guben und dem Havellandkreis existieren örtliche tarifliche Vereinbarungen, die einen Teillohnausgleich vorsehen. Die meisten Teilzeitregelungen wurden als – tarifrechtlich eigentlich nicht korrekte – Dienstvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Personalvertretung getroffen.

„Auf den Frauen lastet ein großer Druck“, so Splanemann. Vor Ort können sich die Erzieherinnen kaum gegen die Arbeitszeitverkürzungen und die Gehaltsminderungen wehren, wenn die Arbeitgeber mit Kündigung drohen: Einen Kündigungsschutz wie im Westen gibt es nicht. Weitere lokale Tarifabschlüsse zur Arbeitszeitverringerung erreichte die ÖTV bisher für die Erzieherinnen unter anderem in den Städten Quedlinburg und Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Auch in Thüringen wurden in Rudolstadt und Erfurt entsprechende Vereinbarungen getroffen.

Barbara Dribbusch