piwik no script img

Die ÖTV im Arbeitsk(r)ampf

■ Nur kleine Reformschritte auf dem ÖTV-Kongreß / Die Wirklichkeit ist vielerorts den Beschlüssen längst voraus

Bremen (taz) – Wer zwölf Jahre lang Gewerkschaftsvorsitzende war, kennt seine Pappenheimer. „Wir müssen unsere Tarifpolitik stärker auf den Kampf gegen Arbeitslosigkeit ausrichten“, hatte die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies eingangs auf dem Gewerkschaftstag in Bremen gefordert – und dann angesichts des Beifalls prophezeit: „Da läßt sich noch leicht klatschen, aber wenn wir nachher im tarifpolitischen Programm miteinander darüber diskutieren, welche Konsequenzen das hat, dann wird das für uns alle eine Bewährungsprobe.“ Die ÖTV-Chefin behielt recht.

Nur an wenigen Punkten wurden die Unsicherheiten quer durch die ÖTV-Mitgliedschaft so deutlich wie bei den Abstimmungen über die tarifpolitischen Anträge auf dem Gewerkschaftstag. Eine knappe Mehrheit der rund 1.000 Delegierten akzeptierte zwar „leistungsbezogene Einkommensbestandteile“ in künftigen Tarifverträgen, lehnte aber den Antrag ab, maximal zu leistende Arbeitsmengen festzuschreiben. Die Delegierten stimmten der Einrichtung von Arbeitszeitkonten zu – der Antrag der ÖTV-Spitze, Zulagen für Schichtarbeit nicht nur entgeltlich, sondern auch durch mehr Freizeit ausgleichen zu können, wurde jedoch mehrheitlich gekippt.

„Hände weg vom Geld“, so faßte der Delegierte Karl-Heinz Bassler die Stimmung vieler Mitglieder zusammen. Die Angst vor Reallohnverlusten ist groß – ebenso wie die Furcht vor Arbeitsverdichtung und Flexibilisierungen, die am Ende nur den Arbeitgebern zugute kommen könnten. „Wir haben uns zusammengeschlossen, um die Konkurrenz untereinander aufzuheben und den Unternehmern geschlossen und gestärkt entgegenzutreten. Daran müssen wir arbeiten, gegen alle Ausgrenzungstendenzen“, rief die Delegierte Dörte David. Sie beschwor eine solidarische Gemeinschaft aus vergangenen Zeiten.

Denn längst ist die Wirklichkeit der Beschlußlage des Gewerkschaftstages voraus. Das Beispiel Leistungszulage: In vielen Kommunen wird derzeit schon die Wirkung von Leistungsanreizen getestet. In den Sozialämtern Dortmunds beispielsweise erhalten Beschäftigte schon „persönliche Leistungszulagen“, wenn sie eine hohe Zahl von Fällen abarbeiten. Eins der bekanntesten Modelle wird in Offenbach erprobt. Wenn in der Stadtverwaltung ein Beschäftigter ausscheidet und zwei andere seine Arbeit übernehmen, erhalten diese Leistungszulagen. Die Planstelle wird eingespart.

Bei diesen Anläufen handelt es sich um Modellversuche und Pilotprojekte, nicht etwa um Tarifverträge. „Um diesen Wildwuchs an Dienstvereinbarungen tarifvertraglich regeln zu können, in paritätischen Ausschüssen, müssen wir uns der Frage der Leistungszulagen öffnen“, erklärt Werner Ley, ÖTV-Sprecher in NRW.

Die ÖTV-Spitze hat nach Meinung vieler Mitglieder bei ihrer tarifpolitischen Anpassung aber nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Leistungsverdichtung macht die Verwaltungen effektiver und konkurrenzfähiger gegenüber privaten Wettbewerbern, verhindert aber auch nicht den Abbau von Planstellen. Arbeitszeitverkürzungen wie beispielsweise in den Kitas in Ostdeutschland sind mit Einkommenseinbußen verbunden und schaffen keine neuen Stellen, erhalten aber immerhin die bestehenden Arbeitsplätze.

Auch in eigener Sache wandelt die ÖTV auf dem Grat zwischen Sparzwängen und Funktionärswünschen. Die am gestrigen letzten Kongreßtag heiß diskutierte Organisationsreform sieht eine Verkleinerung der zentralen Gremien vor. Widerspruchslos wird das nicht hingenommen. Die ÖTV als „Wertegemeinschaft“ im Kampf gegen die Arbeitgeber sei im Niedergang begriffen, bedauerten viele ältere Delegierte am Rande des Kongresses. Zu denken geben muß eine neue Erhebung des Magazins Der Spiegel unter Jugendlichen. Auf die Frage, welche Organisationen glaubwürdig seien, hatten nur 17 Prozent die Gewerkschaften genannt. Greenpeace kam dagegen auf 64 Prozent. Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen