Entsetzen über Pflichtverteidiger

■ Solinger Mordprozeß: Heftiger Streit über Verteidigungsstrategie des geständigen Angeklagten

Düsseldorf (taz) – Im Solinger Mordprozeß hat gestern der einzig geständige Angeklagte, Markus Gartmann, über seinen Vertrauensanwalt Siegmund Benecken die Entpflichtung seines Pflichtverteidigers Karlheinz Linke beantragt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Gartmann und Linke sei „in tiefster Weise gestört und zerstört“, sagte Benecken. Der Vertrauensanwalt wirft Linke vor, durch Zeugenbefragungen und Unterstützung eines Beweisantrages der anderen Verteidiger seinen eigenen Mandanten zu bezichtigen, dieser „habe, möglicherweise, ein falsches Geständnis abgelegt und sei so auch dafür verantwortlich, daß zumindest zwei der anderen Mitangeklagten unschuldig hier sitzen.“ Sein Mandant halte es für „unzumutbar“ durch seinen Pflichtverteidiger in „ein schiefes Licht“ gerückt zu werden, denn er habe sich bemüht, „durch ein von Reue und der Bereitschaft zu lückenloser Aufklärung geprägtes Nachtatverhalten zur Wahrheitsfindung“ beizutragen. Dieses Verhalten hält Benecken „auch unter Strafzumessungsgesichtspunkten“ für die „einzig sinnvolle Verteidigungsstrategie“. Weil Linke Zweifel an der Aufrichtigkeit seines Mandanten bei den Hinterbliebenen und Nebenklägern wecke, sei sein Verhalten für das Verteidigungsziel „in hohem Maße schädlich“. Linke hatte in der vergangenen Woche sein Verhalten damit begründet, daß er „von der Richtigkeit des Geständnisses noch nicht überzeugt“ sei.

In einem wichtigen Punkt hat gestern eine Zeugin die Angaben von Gartmann indirekt bestätigt. Die Zeugin wohnt in dem Haus, in dem sich drei der vier Angeklagten während der Tatnacht zeitweise aufhielten. Nach Angaben von Gartmann haben die drei das Haus in der fraglichen Nacht gegen 0.40 Uhr verlassen und sind von da aus quer durch die Stadt zum Tatort gegangen. Die Zeugin Christiane M. schilderte gestern, sie habe in der Tatnacht zwischen 0.30 Uhr und 0.45 Uhr „gehört, wie mehrere Personen die Treppe heruntergegangen sind“. Sollte das Gericht diese Aussage für glaubhaft erachten, würde damit gleichzeitig der Zeitplan der Bundesanwaltschaft gestützt. Der Fußweg bis zum Tatort ist nach Auffassung der Anklage – je nach Gehgeschwindigkeit – in 40 bis 60 Minuten zu schaffen. Um 1.38 Uhr soll das Feuer laut Anklage gelegt worden sein. Doch der Brandlegungszeitpunkt ist höchst umstritten. In der vergangenen Woche hatte der im Brandhaus lebende Zeuge Ahmed Ince geschildert, er sei in der Nacht um 1.38 Uhr durch Schreie wach geworden und habe wegen des Qualms schon nicht mehr durch das Treppenhaus nach unten fliehen können. Demnach müßte das Feuer früher gelegt worden sein. Aufklärung erhofft sich das Gericht von weiteren Zeugenaussagen und von der noch ausstehenden Diskussion der Gutachten zum Brandverlauf. Das wird noch Monate dauern. Walter Jakobs