piwik no script img

Geisterzug überrollt Kuhbier

■ Appell des Hamburger SPD-Chefs landet im Papierkorb / SPD-Länder votieren mit Voscherau für Transrapid – oder doch nicht? Von Uli Exner

Weil das Wünschen nichts geholfen hatte, setzte Jörg Kuhbier zu einem allerletzten Befreiungsschlag an.

In einem gestern bekanntgewordenen Brief appellierte der Hamburger SPD-Chef an die Ministerpräsidenten der sozialdemokratisch regierten Länder, bei der heutigen Bundesratssitzung kein grünes Licht für eine Magnetschwebebahn zwischen Hamburg und Berlin zu geben. Gegen den Beschluß des SPD-geführten Senats – und wohl vergeblich, wie der Hamburger Bonn-Vertreter, Knut Nevermann, der taz verriet. In einer Sitzung mit den Vertretern der übrigen Bundesländer gestern nachmittag sei deutlich geworden, daß das Anfang September vom Bonner Vermittlungsausschuß leicht überarbeitete Magnetschwebebahn-Planungsgesetz heute eine „deutliche Mehrheit“ bekommen werde.

Da alle sachlichen Argumente gegen die Transrapid-Entscheidung nicht gefruchtet haben, auch SPD-Parteibeschlüsse weder den Hamburger SPD-Regierungschef Henning Voscherau noch seine Kollegen in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz beeindrucken konnten, hatte es Kuhbier zuletzt mit einem Trick probiert, der bei den Sozialdemokraten in der Regel prima funktioniert: Schon aus wahltaktischen Gründen, mahnte Hamburgs Obersozi seine Genossen eindringlich, sei ein Pro-Transrapid-Votum vor dem 16. Oktober nicht opportun. Mit einer Zustimmung würde man den erklärten Magnetbahn-Gegner und „Schatten-Superminister“ Gerhard Schröder „desavouieren“ sowie „der abzulösenden Bundesregierung unmittelbar Wahlhilfe“ leisten, schrieb Kuhbier an Voscherau und Kollegen.

Zumindest in Nordrhein-Westfalen schien Kuhbiers Eilbrief zunächst wenigstens nicht direkt im Papierkorb gelandet zu sein. In NRW habe ein „Prozeß des Nachdenkens“ eingesetzt, teilte die Deutsche Presseagentur gestern mittag mit bezug auf Bonner Quellen mit. Es gebe Bestrebungen, die Bundesratsentscheidung zu vertagen, auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl. Am Nachmittag ließ die Düsseldorfer Staatskanzlei dann allerdings mitteilen: „Wenn am Freitag abgestimmt wird, stimmen wir zu.“

Der einzige, der die Abstimmung noch verhindern, die Signale damit vorübergehend auf Rot stellen könnte, dürfte der SPD-Oberschaffner und rheinland-pfälzische Landeschef Rudolf Scharping sein. Doch der macht so gar keine Anstalten. „Wir gehen von einer Zustimmung aus“, hieß es gestern in Scharpings Mainzer Chefetage. Und in der Bonner SPD-Zentrale wollte man vom Thema Transrapid rein gar nichts wissen. Kuhbiers Brief, so eine Sprecherin, „ist im Erich-Ollenhauer-Haus nicht bekannt“.

Kein Wunder also, daß sich Senatschef Voscherau gestern angesichts des Schreibens seines Parteivorsitzenden äußerst relaxed gab: Kuhbier vertrete nun mal die Auffassung der Partei, er selbst aber die des Senats. Und der habe ihm erst am Dienstag in Sachen Transrapid-Abstimmung erneut freie Hand gegeben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen