Voyeure im Park

■ Claudia Scholls Schnitzler-Bearbeitung „Else, Else!“ findet Zuspruch aus der falschen Ecke: „Sind Sie das mit dem Striptease auf der Bühne?“

Die Handlung der literarischen Vorlage ist bekannt: Am Ende von Schnitzlers Novelle läuft Fräulein Else verstört durch's Hotel, ent-blößt sich schließlich vor allen Gästen und vergiftet sich. Klar, daß dieser hochdramatische Schluß auf der Bühne verdichtet werden muß. Claudia Scholl macht's kurz: Ihre Else reißt sich im Moment höchster Verzweiflung das beschützende Gewand vom Leib, sie setzt den nackten Körper dem Scheinwerferlicht und den Blicken des Publikums aus und deutet mit einem Scheinwerferblack den Selbstmord an. „Ich wollte zeigen, welche Power sie hat und wie destruktiv das wird, wenn man so verletzt wird wie dieses Mädchen. Für mich ist ihre Entblößung eine Tat der Revolte, wie die der Meinhof, die sie in den Tod treibt.“ Mit dieser Power ist offensichtlich schwer umzugehen. Seit das Stück in dieser Form auf der Bühne ist, und von männlichen Kritikern mit dem Begriff der Peepshow belegt wurde, wird die Schauspielerin mit anonymen Anrufen terrorisiert. „Einer hat gleich gefragt, ob er in der ersten Reihe sitzen dürfe. Und ob ich das sei mit der Peepshow“, sagt Claudia Scholl. „Ich hab' schon überlegt, das Stück nur vor Frauen aufzuführen.“ Sich in die Frauenecke drängen zu lassen, wäre jedoch auch eine Opferhaltung.

Worum geht's eigentlich? In der neu aufgelegten, radikal zugespitzten Version ihrer Bühnenadaption unter dem Titel „Else, Else“ arbeitet die Bremer Schauspielerin - unter der Regie von Farideh Fardjam - konsequent den Aspekt des Kindesmißbrauchs im Stück heraus. Handelt Artur Schnitzlers Novelle um „Fräulein Else“ nicht auch vom „ganz normalen Mißbrauch“ der Tochter durch die eigenen Eltern?

Anfangs, wenn der Vorhang aufgeht, scheint die Welt noch in Ordnung. Weiße, lichte Tüllgardinen filtern das Licht, und die Erinnerung an einen Hauch von Parfüm hängt noch in der Luft. Im legeren Hauskleid thront Fräulein Else auf einem exotischen Sitzpolster, liest einen Brief. Den haben ihr die Eltern ins Feriendomizil per Express geschickt. Die Familie, die dem verarmten Adel angehört, sei einmal wieder knapp mit Geld. Sehr sogar. Der Vater - offensichtlich Spieler und Lebemann - hat Mündelgelder veruntreut, steht mit einem Bein im Gefängnis. „Dreitausend Gulden müssen in drei Tagen her, sonst ist alles verloren.“ Mittels einer unbekömmlichen Mischung aus Elternliebe und Erpressung wälzt die Mutter die schwere Bürde auf die Tochter ab. Else wird auf den vermögenden Herrn Dorsay angesetzt. „Er hat dir doch immer die Wange gestreichelt, als du noch ein Kind warst.“ Erpresserische Eltern – eine folgsame Tochter. „Ich wollte zeigen, wie ich Schnitzlers Text erlebt habe“, meint Claudia Scholl. „Es ist nämlich kaum verhüllt, daß diesem Mädchen Gewalt angetan wird, und daß die Eltern auch wissen was sie tun. Schnitzler schildert, wie man einen Menschen zerbricht.“

Claudia Scholl, der als Schauspielerin die Bühne eineinhalb Stunden lang allein gehört, bemüht sich, diese Zwangssituation in Schauspielerei zu übersetzen. Häufig scheint sie an der Situation mehr zu leiden, als daß sie sie darstellerisch bewältigt. Trotzdem versucht sie, mit (bewußt?) allzu groben mimisch-gestischen Mitteln, die ganze Bandbreite der Empfindungen des Schnitzlerschen Inneren Monologs in mimisches Spiel umzusetzen.

1924, bei Schnitzler, bestand der Skandal darin, daß sich ein „Mädchen aus gutem Hause“ vor aller Augen auszieht, entblößt. Na und!?, hieße es heute achselzuckend. Betroffenheit riefe eher der Selbstmord des armen, mißbrauchten Kindes hervor. Umso krasser erscheint dabei die Reaktion, die die bloße Nacktheit heute in Bremen (wieder ?) hervorruft.

Da stößt sich wohl 70 Jahre nach Schnitzlers „Skandalwerk“ immer noch ein männlich-bürgerliches Publikum an einer Entblößung, die weder als Striptease noch als Pornografie konsumiert werden kann, sondern Ausdruck für die tödliche Verletzung ist, die aus dem Mißbrauch derselben entsteht. Ein Skandal.Susanne Raubold

20.30 Uhr Haus im Park, ZKH Ost