Wo die Nachtfalken hausen

■ „Nightshadows“: Grafiken von Edward Hopper jenseits der USA-Klischees

Nachtfalken sind wir, einsam aber glücklich. Jedenfalls ab und zu mal ein bißchen. Wenn wir in den modisch aufgestylten Cafés neuerer Bauart hocken, umgeben von Edward Hoppers „Nighthawks“-Poster – dann fühlen wir uns ein wenig wie im Gangsterfilm; wahlweise geht auch die heimische Küche, wo irgendein anderes, einsam schönes Hopperposter hängt. Wie kein anderer US-amerikanischer Maler hat Edward Hopper das europäische Bild Amerikas geprägt. Wenn Wim Wenders „Amerika“ darstellen will, in seiner etwas eigenen, tranig-melancholischen Weise: dann baut er Hoppers Gemälde als Filmkulissen nach. Die Poster und Kunstpostkarten der „Night-hawks“ sind praktisch der Bodensatz solcher Stilisierungen. Unter diesem Berg trivialisierter Amerika-Mythen sind die ursprünglichen Bilder und Intentionen Hoppers längst verschütt gegangen. Diese wieder ans Licht zu holen, ist das Verdienst einer kleinen Ausstellung im Bremer „Kunstforum am Markt“: Anhand der frühen Druckgrafiken Hoppers können wir hier die Entstehung unserer Amerika-Klischees noch einmal erleben, Schritt für Schritt, und dabei die wahren Qualitäten des Künstlers (wieder)entdecken.

Von den allbekannten Gemälden Hoppers ist hier erstmal nichts zu sehen. Die Beschränkung auf die Grafiken ist allerdings nicht nur aus Kostengründen geschehen: In seinen Radierungen der 20er Jahre hat Hopper vieles vorbereitet und geklärt, was seinen späteren Gemälden zu ihrer enormen Popularität verhalf. Mit dem Drucken hörte Hopper konsequenterweise auf, als ihn die Kunstwelt als Maler zu schätzen begann. Die frühen, noch nie in diesem Umfang gezeigten Schätze hat das New Yorker Whitney Museum nun fast komplett herausgerückt; und die versammelten Kleinformate geben nun ein großartiges Bild Hoppers, und seines Amerikas ab.

Es ist ein hartes, kühles Licht, in das Hopper Land und Leute taucht. Nichts ist da zu spüren von der weinerlichen Melancholie, die oft den Gemälden angedichtet wird. Das einsame Stadthaus, die verlorenen Passanten, die vereinzelten Theatergänger: Hopper taucht sie in tiefe Schatten und grelles Schlaglicht – selbst in den Außenansichten wirkt es oft wie Kunstlicht, wie die Neonbeleuchtung der amerikanischen Städte.

Mit dieser Auffassung von Grafik zeigt sich Hopper heute, im Vergleich mit den Landsleuten seiner Zeit, geradezu als „radikal“. David Kiehl, Kurator am Whitney Museum, sieht Hopper als Wegbereiter einer neuen Radierkunst. Denn die Zeitgenossen übten sich noch in impressionistischer Manier und gar lieblichen „touristischen Motiven“, wie Kiehl sagt. Inmitten der pittoresken Bauern, Hündchen und Ruinen, die auf den jährlichen Grafiksalons des National Arts Club zu erleben waren, wurden die unterkühlten Stadtansichten Hoppers als klarer Bruch mit der europäischen Kunsttradition empfunden. „Eine neue Art, das amerikanische Leben zu betrachten“, sagt Kiehl – Bild für Bild, das zeigt die Ausstellung heute sehr deutlich, wird Hoppers Blick schärfer, sein Strich schnörkelloser, seine Vision klarer.

Daß sowas auch sehr plakativ wirken kann, hat der Kunstmarkt dann rasch entdeckt. Auf dekorative Effekte aber, das zeigt sich hier, war Hopper niemals aus. Und auch ein vermeintlich klares Amerika-Bild geben diese Drucke nicht her. Von den Sentimentalitäten eines Wenders ist dies hier ebensoweit entfernt wie von plakativer Sozialkritik. Die Kornspeicher, Stadthäuser und Nachtcafés, unsere liebgewonnenen Ikonen, sind in diesen Bildern alles andere als glorifiziert. Anders als mancher europäische Betrachter, empfindet David Kiehl die Stimmungen Hoppers eher als ambivalent. In der Stille dieser Stadtlandschaften liegen einsame Verzweiflung und unbeschwerte Langeweile oft dicht beisammen. Das „typisch Amerikanische“ muß man vielleicht in solchen Zwischentönen suchen: Im Gefühl des Ausgesetztseins in der Weite, im Erleben des Untergehens in der Masse. Und auch das gehört für Kiehl zu Amerika: Die „nosiness“ der Menschen; das Bedürfnis, dem Nachbarn ins Fenster und auch ins Schlafzimmer zu gucken – ein milder Voyeurismus, den Hopper selbst gepflegt und gleichzeitig bestens bedient hat.

Ganz ohne die alten Klischeebilder ist aber auch diese Ausstellung nicht ausgekommen. Wer sich in die Grafiken vertieft hat und schließlich am Katalogtisch, der „pädagogischen Ecke“ (lt. Ausstellungskonzept) angekommen ist – der sieht sich dann doch wieder den „Nachtfalken“ gegenüber: Um den Besuchern „eine Brücke zu bauen“, hat man das populärste aller Hopperbilder von zwei heimischen Künstlern nachpinseln lassen; eine entbehrliche Peinlichkeit, die aber den Wert der übrigen Schau nicht schmälern kann. Thomas Wolff

„Nightshadows“, 25.9. bis 30.11., Kunstforum am Markt, Langenstr. 2