piwik no script img

Neues Elektropolis am Spreeknie

Technologiestandort Berlin – eine taz-Serie (Teil 4): In Oberschöneweide entsteht ein drittes Technologiezentrum im Südosten / Gegenseitige Konkurrenz oder Unterstützung?  ■ Von Hannes Koch

An wenigen Orten sind Aufstieg, Fall und unsichere Zukunft der Industriestadt Berlin so augenfällig wie entlang der Wilhelminenhofstraße in Oberschöneweide. Vielen Menschen, die sich neben aufgerissenen Kabelschächten über das schmale Trottoir schieben, ist die aussichtslose Hetzjagd der vergangenen Jahre ins Gesicht geschrieben. Depression und Arbeitslosigkeit dominieren, am Kneipentresen finden Bier und Korn schon vormittags guten Absatz – nicht als Erfrischung in der Arbeitspause, sondern als Ersatz für Beschäftigung.

Dabei steht auf der gegenüberliegenden, der Spree zugewandten Straßenseite eine Fabrik neben der anderen – kilometerweit. Prächtige Industriekathedralen der Gründerzeit, riesige Kapitalmacht der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (AEG) – unter ZeitgenossInnen trug Berlin den Beinamen „Elektropolis“. Die DDR führte die Anlagen weiter als Kabelwerk Oberspree (KWO), Transformatoren- und Schaltgerätewerk (TRO), Werk für Fernsehelektronik (WF). Und heute? Heute passiert nicht mehr viel in Oberschöneweide. Einmal am Tag noch poltert die Fabrikbahn die Wilhelminenhofstraße entlang nach Süden. Das reicht angesichts der abgewickelten Produktion. Zwar verkaufte die Treuhand Teile der Kombinate an die neuen Westbesitzer AEG, den britischen Kabelhersteller BICC und den südkoreanischen Elektronikkonzern Samsung, doch die haben nur Verwendung für jeweils maximal 1.000 Leute. Zu DDR-Zeiten fanden zwischen 35.000 und 40.000 Menschen Arbeit am Spreeufer.

In dieser verfahrenen Situation tritt die Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG) an, dem alten Elektropolis neuen Glanz zu verleihen. Etwa 30 Hektar Industrieareal aus Treuhand-Beständen sind bereits im Besitz der Gesellschaft, die zu 51 Prozent dem Land, zu 49 Prozent der Landesbank gehört. 250 Millionen Mark oder mehr sollen investiert werden, um Fabriken abzureißen, umzubauen, neu zu errichten, Gift aus dem Boden zu beseitigen, Computer- und Telefonkabel zu verlegen. Mit einer aufwendigen Broschüre und einem Videofilm wirbt die BLEG um Käufer und Mieter. Motto: Wo einmal High-Tech war, sind die Voraussetzungen gut, neue entstehen zu lassen.

Kern der Hochtechnologie- Hoffnungen ist ein zwei Hektar großes Areal, das zur Zeit wenig mehr ist als ein Garagenhof. Die Fläche firmiert aber bereits unter der Bezeichnung „Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie“ (TGS) – ab 1995 will die BLEG Zeichen setzen durch Sanierung und Neubau von Betriebsstätten. Heute residieren dort acht Klein- und Mittelunternehmen, die größtenteils aus dem Werk für Fernsehelektronik hervorgegangen sind. Die Victor GmbH widmet sich zum Beispiel dem Recycling von Elektronikschrott, namentlich von Fernseh- und Computerbildröhren. Diese werden in einer selbstentwickelten Anlage sortenrein in ihre Bestandteile zerlegt, die dann wieder in den Produktionsprozeß eingespeist werden können.

Das benachbarte Adolf-Slaby- Institut forscht und entwickelt auf dem Gebiet der Plasmatechnologie und bearbeitet Halbleiterplatten sowie komplizierte optische Gläser. Klaus Lehmann vom BLEG-Büro in Oberschöneweide setzt darauf, daß die Firmen in Zukunft auch deshalb florieren werden, weil sich die jeweiligen MitarbeiterInnen noch aus dem früheren Kombinat oder aus Zeiten gemeinsamer Forschung kennen, ihr Know-how gegenseitig einschätzen und sich so unterstützen können. Diese Synergieeffekte sollen erhalten bleiben, wenn das Technologiezentrum mittelfristig auf 30 bis 50 Firmen mit 400 Beschäftigten anwächst.

Mit ihren Entwicklungsanstrengungen knüpft die BLEG an die traditionell in Oberschöneweide stark vertretene Elektronikindustrie an. Das TGS soll sich zum Zentrum für Mikrosystemtechnik und Optoelektronik mausern. Genau an diesem Punkt jedoch könnte es in Zukunft zu Reibereien mit anderen, konkurrierenden Technologieparks kommen. Denn einige Kilometer entfernt startet die Entwicklungsgesellschaft Adlershof dieser Tage ein ähnliches Unternehmen: Im Rahmen des milliardenschweren Renommierprojekts am früheren Flughafen Johannisthal wurde der erste Spatenstich für das „Innovationszentrum Optik, Optoelektronik und Lasertechnik“ getan. Und mit dem Innovationspark Wuhlheide entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft ein weiteres Gründerzentrum mit vergleichbarer Zielsetzung.

Wie sich das Nebeneinander entwickelt, ist noch offen. Wenn die drei Entwicklungsgesellschaften gegeneinander arbeiten, sich mit Grundstückspreisen unterbieten und anderweitig das Wasser abgraben, werden die Investoren die lachenden Dritten sein. Doch dazu muß es nicht kommen. BLEG-Geschäftsführer Jörg Rommerskirchen geht davon aus, daß die Nachfrage von seiten junger Unternehmen ausreichend groß ist und mehrere Zentren mit ähnlicher Ausrichtung nebeneinander existieren können.

Auch wenn die Modernisierung der Industrie in Oberschöneweide gelingt und die Zahl der Industriearbeitsplätze langsam wieder ansteigt, bleibt die Zukunft unsicher für manche BewohnerInnen der gründerzeitlichen Arbeiterviertel entlang der Wilhelminenhofstraße. Denn nach der Umstrukturierung der Fabriken folgt die Sanierung der Wohnquartiere. „Hochwertiges Personal braucht hochwertigen Wohnraum“, wissen die MitarbeiterInnen der BLEG. High-Tech-Ingenieure wollen nicht in Drei-Zimmer-Proletarier- Wohnungen leben. So nimmt die landeseigene Entwicklungsgesellschaft Einfluß auf die Sanierung und wünscht sich die eine oder andere Eigentumswohnung. Das könnte manche Oberschöneweider Familie nach dem Arbeitsplatz noch den angestammten Wohnraum kosten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen