"24-Stunden-U-Bahn-Betrieb wäre ein Kick"

■ Das Defizit der BVG wird bis 1998 auf eine Milliarde Mark wachsen / BVG-Chef vorm Walde verspricht, daß die Fahrpreise trotzdem nur leicht steigen werden / Ausbau der U5 letztes großes ...

taz: Herr vorm Walde, Sie wollen bis 1998 die Fahrpreise um jährlich sieben Prozent erhöhen. Gleichzeitig räumen Sie ein, daß die Schulden der BVG bis dahin auf über eine Milliarde Mark steigen werden. Müssen angesichts dieser Aussichten die Fahrpreise nicht sehr viel schärfer angezogen werden?

Rüdiger vorm Walde: Nein.

Aber wo wollen Sie sparen? Sie haben ja fast alles ausgereizt.

Die BVG macht in den kommenden Jahren ein Defizit von rund 200 Millionen Mark jährlich. Wir haben also die Möglichkeit, in die Schuldenwirtschaft zu gehen. Die Deutsche Bundesbahn hat jedoch gezeigt, daß die finanziellen Aufwendungen bei einem derartigen Vorgehen so hoch werden können, daß sie nicht tragbar sind. Also werden wir intensiv über Rationalisierungsmaßnahmen nachdenken müssen.

Das erzählt die BVG seit Jahren, und sie rationalisiert ja auch wirklich. Aber das Angebot wird schlechter.

Wir haben bereits einen wesentlichen Erfolg zu verzeichnen. Bei einer unterstellten Preissteigerung von zwei, drei, vier Prozent halten wir das Ergebnis von 200 Millionen Mark minus jährlich. Früher sind die jährlichen Verluste gestiegen. Und wir verschlechtern nicht die Leistungen.

Was heißt denn bei Ihnen Leistung?

Wir messen unsere Leistung an den gefahrenen Kilometern unserer Züge und Omnibusse. Wenn Sie sich unseren Fahrplan ansehen, erkennen Sie, wir haben keinen Takt geändert.

Die U-Bahnen fahren seit Mai täglich zwei Stunden weniger.

Sie sagen, wir verschlechtern das Angebot, ich sage, wir optimieren es. Sie würden uns doch einen Vorwurf daraus machen, beförderten wir nur „warme Luft“. Wir bieten statt dessen ein leistungsfähiges Busnachtnetz an. Das ist keine Verschlechterung, hier geht einer mit seinen Ressourcen sparsamer um.

Am Stadtrand haben wir größere durch kleinere Busse ersetzt. Änderungen bei den Linien sind nicht immer ganz angenehm, weil man neue Liniennummern oder neue Wege zu akzeptieren hat. Der Kunde benötigt ungefähr ein bis anderthalb Jahre, um sich an solche Umstellungen zu gewöhnen. Deshalb ist es für ein Nahverkehrsunternehmen nicht von Vorteil, solche Änderungen oft vorzunehmen. Aber wir leben in Berlin nun mal in einer irrsinnig bewegten Zeit. Allein die S-Bahn investiert Milliardensummen.

Sie sagen, das Angebot wird nicht schlechter. Wo wird es denn besser?

Einerseits sind unsere Ressourcen außerordentlich begrenzt, andererseits bewegen wir uns auf einem Wachstumsmarkt. Die Grenze um Berlin ist weggefallen, die Leute suchen sich Wohnraum im Umland, weil die Mieten in Berlin zu teuer geworden sind. Und die Baustellen von Verwaltungsgebäuden in der Innenstadt bedeuten zukünftige Arbeitsplätze. Das einzige, was wir kurzfristig machen können, ist, häufiger zu fahren.

Es sind aber auch neue Strecken geplant, zum Beispiel die U-Bahn- Linie 5 vom Alexanderplatz unter dem Reichstag hindurch zum geplanten Zentralbahnhof an der Lehrter Straße. Viele kritisieren das Projekt: Es sei mit 1,4 Milliarden Mark zu teuer, eine moderne Straßenbahn sei vergleichbar leistungsfähig und dabei zehn- bis fünfzehnmal billiger.

Die U5 ist die letzte größere Tunnelbaumaßnahme. Danach wird es nur noch Streckenergänzungen geben.

Warum lassen Sie das U-Bahn- Projekt nicht fallen?

Die U-Bahn ist leistungsfähiger als die Straßenbahn.

Vor drei Monaten sind durch die Grünen Berechnungen aus Ihrem Hause veröffentlicht worden, die eine annähernd gleiche Leistungsfähigkeit von Straßen- und U-Bahn belegen.

Wir stehen hinter der U5. Die Planung ist abgeschlossen.

Vor kurzem hat der Verkehrsexperte Winfried Wolf sein Buch „Berlin – Weltstadt ohne Auto?“ vorgestellt. Er behauptet darin, die Verkehrswende sei möglich und billiger als die jetzt geplanten Projekte. Das Straßenbahnnetz könnte bis zum Jahr 2005 von 250 auf 650 Kilometer verlängert und die S-Bahn ausgebaut werden. Die BVG würde so viel Gewinn einfahren, daß die Subventionen um die Hälfte reduziert werden könnten. Nehmen Sie solche Vorschläge ernst?

Das sind Rechenansätze. Die halte ich für legitim. Von uns kommen demnächst ebenfalls Planungen, aus denen hervorgeht, wo wir die Straßenbahn für sinnvoll halten. Da wir nicht Bauträger sind, können wir nur Vorschläge unterbreiten.

Sie prüfen, ob statt eines Nachtfahrplans ein 24-Stunden-Betrieb der U-Bahn günstiger ist. Gibt es da schon Ergebnisse?

Erst einmal haben wir, wie bereits gesagt, die Betriebszeiten der U-Bahn gekürzt. Wir spielen aber auch andere Szenarien durch. Was Ihre Frage betrifft: Da haben wir noch keine Ergebnisse. Aber wenn ein 24-Stunden-Betrieb billiger ist, wäre er ein Selbstgänger. Wäre ein durchgehendes Angebot machbar, aber teurer als bisher, müßte man sich mit dem Senat und der Bundesregierung beispielsweise über den Hauptstadtvertrag unterhalten. Es ist wichtig, sich nicht immer nur zurückzuziehen, sondern auch Strategien nach vorne zu entwickeln. Ein 24-Stunden-Betrieb der U-Bahn wäre für eine Metropole wie Berlin ein Kick. Interview: Dirk Wildt