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Zwischen den RillenEin breites Grinsen

■ Zwei digitale Bärte: Sven Väth und Andreas Dorau

Ein etwa zentimeterbreiter Bartstreifen führt von Sven Väths Unterlippe durchs Grübchen und übers Kinn hinaus in die Welt. Der Mann aus Frankfurt weist sich damit als cool aus, und rundet seine Mönchsfrisur auf gar nicht mal unpassende Weise ab.

Vom ehemaligen Neue- Deutsche-Welle-Star Andreas Dorau, immer noch mit Grundschulhaarschnitt unterwegs, waren solche Konzessionen an den Zeitgeist bisher unbekannt. Doch nun trägt auch Dorau Kinnbart: Ein erstaunlich langer, offensichtlich im abgeschiedenen Münsteraner Studio gehegter Haarzopf hängt ihm vom Gesichtsende bis fast auf die Brust.

Sven und Andreas, zwei Brüder im Barte? Im Barte vielleicht, nicht aber im Geiste. Auf ihren neuen Platten versuchen beide, die elektronische, also digitale, computergenerierte, synthetische Musik und ihre erfolgreichste Version, den Techno, in völlig entgegengesetzte Richtungen zu lenken: Art-Rock versus Schlager-Techno oder so. Dorau wagt sich zu diesem Zweck an das lange hinausgeschobene Projekt, digitale Beats mit intelligenten Texten anzureichern, um sie so der Nichtigkeit der „Move your body“- und „Gonna-make-you-sweat“-Parolen zu entreißen. Väth sieht sein Heil hingegen in der mystisch inszenierten Verbindung von Klassik und Trance. Fragt sich, welcher dieser beiden Bärte den Propheten birgt.

Väth gibt sich zumindest alle Mühe, als solcher zu erscheinen. Das Cover präsentiert ihn als virtuelles Porträt mit meditativ geschlossenen Augen vor einem endzeitlich-elementaren Hintergrund: einer von blauen Wolken verhangenen Wüstenlandschaft, die aussieht, als stamme sie aus dem Hipgnosis-Labor – ein Abfallprodukt der vorvorletzten Yes-Kampagne. Ähnliche Assoziationen ruft auch der schwer Genesis-verdächtig geschwollene Titel hervor: „The Harlequin – The Robot and The Ballet-Dancer“. Legt man die Platte auf, wird der Art-Rock- Verdacht voll bestätigt.

Anders als auf Väths letztem Album „Accident in Paradise“ gibt es hier kein unterhaltsames Patchwork aus Trance-Beats, Didgeridoo und Andreas Vollenweider. Wie die Artrock-Bewegung der Siebziger, deren Ikonographie er gelehrig nachstellt, sucht Väth, seine Musik durch verbrämte Orchesterklassik aufzuwerten. Nach einem ebensolchen Vorspiel von mehreren Minuten Dauer tröpfelt der Beat herein und tuckert bis zum Ende des Stücks (bei 12:44) ohne jegliche Entwicklung weiter, unterbrochen nur von den bedeutungsschwanger in den Raum gestellten Worten „The Harlequin“, „The Robot“ und so weiter. Klingt langweilig und ist es auch: „The Harlequin ...“ ist eine auf läppische Weise ereignisarme Platte, die Techno/ Trance in die Gleichgültigkeit des New-Age-Gedudels treibt.

Was hat Andereas Dorau dem entgegenzusetzen? „Ich stehe oft an Ecken / Nicht selten stundenlang / Und bin mir dabei sicher /Ihr Weg führt hier entlang / Und falls sie dann vorbeikommt Werd' ich sicher ignoriert / Denn mir ist in meinem Leben / Das schon öfter mal passiert.“ Dorau kontert mit der Schlichtheit seiner Dichtung und der Nonchalance ihres Vortrags, mit der verspielten Verträglichkeit seiner Grooves, mit der Glaubwürdigkeit seiner Präsentation. Im Alleingang holt er Techno/Trance ins Leben zurück und erschließt der synthetischen Musik ein neues Wirkungsfeld: als Techno- Schlager, Sequenzer-Chanson oder wie immer man es nennen will.

Trotzdem ist „Neu“ ein mißverständlicher Titel – die ursprüngliche Wahl, „Mit Bart“, wäre passender gewesen. Denn „Neu“ ist in Wirklichkeit alt: Alle Konzepte und Ideen der Platte sind in Doraus vierzehnjähriger musikalischer Biographie angelegt. Seine Texte handelten schon immer von Insekten, Blumen und Liebesproblemen. Von Computermusik schon zu seinen Kinderstarzeiten fasziniert, fing er anfang der Achtziger an, mit Atari und Rhythmusbox die ersten Tracks zu basteln. Und seine letzte Platte „Ärger mit der Unsterblichkeit“ (1992) war genau wie „Neu“ eine reine Computerplatte, nur vom Sound her etwas rumpeliger. Wenn Dorau also heute in Techno-Revieren wildert, dann nicht als Eindringling, sondern als treffsicherer Old-School-Jägermeister.

Als solcher greift er sich den Techno-Sound, verlangsamt ihn, reichert ihn mit Dub- und Disko-Elementen an und singt mit immer noch quäkiger Stimme zu schlagerhaften Melodien seine „angenehm stumpfen“ Texte darüber. Heraus kommt der bisher schillerndste deutsche Popentwurf für die neunziger Jahre: Dorau verleiht dem Maschinensound ein breites Grinsen als menschliches Anlitz. Er skizziert eine Computermusik, die das, was vorher war, genauso ironisch, überdreht und geschmackvoll abgleicht, wie sein Ziegenbart den von Sven Väth persifliert. Für die Techno-Freaks erscheint derweil eine Maxi mit entsprechenden Remixes der Single- Auskoppelung „Stoned Faces Don't Lie“.

Elf Jahre nach seinem mißglückten Industrieexperiment (die CBS kaufte ihn damals ein, ließ seine Platte „Die Doraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen“ aber absaufen, um die Verkäufe von Nena nicht zu gefährden) vertraut Dorau seine Musik erstmals wieder einem Major an. Der Mann will es mit dem Eintritt ins dreißigste Lebensjahr offensichtlich noch einmal wissen: Werde ich mein Dasein als skurriler Schlageronkel mit Liebhaberappeal fristen oder wird die Welt endlich mein Genius erkennen? Los Welt, mach schon! Johannes Waechter

Sven Väth: „The Harlequin – The Robot and The Ballet-Dancer“ (WEA, CD).

Andreas Dorau: „Neu“ (Motor Musik, CD).

Andreas Dorau: „Stoned Faces Don‘t Lie – Remix“ (Motor Music, Maxi-CD).

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