Vor dem Ausziehen den Parteiausweis

Italiens „Viados“, die lateinamerikanischen Transvestiten, fürchten die Freier von Berlusconis „Forza Italia“. „Moral“ ist wieder gefordert – der Probelauf neuer italienischer Randgruppenhatz  ■ Aus Modena Werner Raith

Was italienische Machos angeht, kann Manjuela so leicht niemand etwas vormachen – sie hat „alle Typen kennengelernt, alle Schattierungen und alle Versuche, Gewalttätigkeit, zunächst jedenfalls, zu verbergen“. Jetzt aber „ist da eine neue Sorte aufgetaucht“, und die „macht einem irgendwie viel mehr Angst als alle früheren Potenzstrotzer zusammen“.

Bei den furchteinflößenden Zeitgenossen handelt es sich weder „um Haudruffs noch um Vergewaltiger“, sondern eher um eine Art „mentaler Sadisten“, meint Manjuela: Männer, die „ihre Freude daran haben, während sie sich von dir entspannen lassen, mit einer Art, ja, ich kann nur wieder sagen, geistig angelegten Pistole herumzufuchteln, so Marke: wenn's mir gekommen ist, knall' ich dich ab“. Dabei „geht's zwar nicht direkt ums Umlegen, aber an die Existenz gleichwohl. Sie sagen dir, mit einer diabolischen Freude im Schweinsgesicht: ,Was machst du denn, wenn ich dich ausweisen lasse?‘“

Manjuela heißt eigentlich Manuel, kommt aus Nova Olinda in Brasilien, lebt seit zwölf Jahren in Italien und ist eine Art Beratungs- und Anlaufstelle für viele „Viados“, die rund 20.000 derzeit im Land tätigen Transvestiten aus Südamerika: Wer Schwierigkeiten mit Freiern, Behörden oder KollegInnen hat, kann sich an sie wenden. Auf diese Weise ist Manjuela weit herumgekommen, ist nahezu immer dabei, wenn irgendwo große Veranstaltungen und Feste sind, bei denen Prostitution besondere Einnahmen verspricht, aber auch Zwistigkeiten und Repressionen drohen.

Vergangene Woche war Modena „in“: Auf dem „Festa dell' Unita“, der zentralen Fete der Ex- Kommunisten, ist „wie bei allen Parteifesten“ traditionell Hochkonjunktur für Funktionäre, die mal schnell einen Seitensprung wagen wollen. Vorher war Manjuela im lombardischen Pontida zugange, da hat die „Liga“ ihre Anhänger versammelt.

Den Hochsommer über ist traditionell Rimini dran, das noch immer seine Strandpromenade als kilometerlangen Strich beläßt und für die Viados die Bezirke ums weltberühmte Grand Hotel faktisch reserviert hat . „Wenn die Frauen schlafen, schleichen sich die Männchen um 4 Uhr raus und kommen zu uns“, sagt Manjuela, „um 5 sind sie dann schon wieder drinne, als sei nix gewesen. Aber ein Quicky mit einem Trans gehört in den letzten Jahren geradezu zum Muß der High-Snobiety“ – damit haben die Sozialisten angefangen, die seit Anfang der 80er Jahre ihre Partei-Megakongresse hier abgehalten hatten. Insofern waren die Transvestiten lange Zeit auch fast so etwas wie ein Teil nicht nur der Halbwelt, sondern auch der feineren Gesellschaft: zur Winterzeit zum Beispiel konnte man in Cortina d'Ampezzo dieselbe Kundschaft finden wie im Sommer in Rimini oder Capalbio nördlich von Rom.

Aber der Wind hat sich gedreht. „Mit den neuen Herren und besonders den bigotten Damen an der Regierung“, bestätigt Carlina, ebenfalls „Viado“, ebenfalls aus Brasilien und wie Manjuela dort einst Jura-Studentin, „kommen grauenhafte neue Sitten auf. Nicht eine Doppelmoral wie in guten alten, aber berechenbaren bürgerlichen Zeiten, auch keine Abnahme an Kundschaft, aber die neuen Kunden müssen sich offenbar derzeit erst mal immer zuerst als wichtige Entscheidungsträger darstellen. Die legen beim Ausziehen nicht zuerst den Schlips oder das Jackett und nicht einmal mehr wie noch vor zwei Jahren das statusgebende Mobiltelefon auf den Tisch oder die Autokonsole, sondern den Parteiausweis mit der Forza-Italia-Tricolore oder dem erigierten Schwert der ,Lega nord‘.“

Manche Diva des Straßenrands berichtet gar, daß nicht wenige dieser neusortierten Freier sich „als eine Art Loddel anbieten: du stehst mir immer zur Verfügung, und ich beschütz' dich vor Ausweisung“. Solche Verhaltensweisen – „auf wesentlich niedrigerem bürokratischem Niveau natürlich“, sagt Manjuela, „kannten wir bisher eher aus Erzählungen unserer weiblichen Konkurrenz. Bei denen kamen Carabinieri und Polizisten mit solchen Angeboten daher.“

Mannfrauen wie Manjuela arbeiten daher seit einiger Zeit an „einer Art Aktion letzte Hoffnung“: berühmte Transvestiten oder Transsexuelle, die in den vielbesuchten Nightclubs etwa von Riccione oder Capalbio, in Abano oder auch Mailand auftreten und „sich jede Nacht vor hochmögenden Anbetern kaum retten können“, sollen aktiviert werden und „ihren Einfluß auf die Chefs der großen Parteien“ geltend machen, damit „einerseits diese stupide Art der Einschüchterung aufhört, andererseits endlich mal klare Verhältnisse geschaffen werden in unserem Gewerbe“.

Die wären wohl nötig – seit 1958 Bordelle uneingeschränkt verboten wurden, ist die Prostitution auf die Straße verbannt. Ab 1. November wird eine Volksabstimmung mit dem Ziel beginnen, dieses Verbot wieder aufzuheben. Das Verbot hat zwar nicht die Einrichtung und den Betrieb illegaler case di appuntamento verhindert, spezieller Nobelbordelle für VIPs, doch gleichzeitig ein immenses Repressionspotential eröffnet.

Das wurde zwar nicht immer hart eingesetzt – in den 60er und 70er Jahren herrschte große Liberalität. Seit Mitte der 80er Jahre aber ist es damit vorbei. Im Gefolge der Aids-Angst veränderte sich die offizielle Politik zuerst punktuell, nun aber „geradezu flächendeckend“, wie ein gar nicht entzückter Polizeichef in Turin beklagt: „Unsere Behördenleiter verlangen plötzlich allnächtliche Kontrollen und Schikanen – vor allem Ausländerinnen gegenüber und auch bei angeblichen Risikogruppen, eben Strichjungen und Transvestiten.“

Da Prostitution auf der Straße selbst nicht unmittelbar strafbar ist, halten sich die Polizisten nun an jene, von denen die Damen leben müssen – die Freier. „Früher haben die Carabinieri schon mal auf uns eingedroschen oder, fürs Nichtanzeigen, gleich mal einen Gang hinter den nächsten Busch verlangt“, berichtet Gelsomina, eine ins Betagte gekommene Abessinierin auf dem trostlosen Strich vor dem Messegelände Modenas, „heute zerren die die Freier aus dem Auto, lassen sie eine halbe Stunde mit runtergelassener Hose stehen, bis die Personalien festgestellt sind, und halten damit nicht nur unser Geschäft auf, sondern verscheuchen uns alle Kunden.“

Trendsetter der neuen Härte war Mailand, die Stadt Silvio Berlusconis und der Lega nord mit ihrer vorgeblichen Moralisierung der Politik. Da haben Polizisten schon vor Monaten begonnen, Autos von Freiern zu beschlagnahmen (Anklage: Obszöne Akte in der Öffentlichkeit) und mitunter gar deren Fotos oder Namen über die Presse in Zeitungen zu lancieren gedroht – speziell dann, wenn die Kunden mit dunkelhäutigen Frauen oder Viados angetroffen wurden. Mittlerweile praktizieren auch andere Städte, etwa Bozen oder Salerno „diese Art ethnischer Sexsäuberung“ (so die Wochenzeitschrift Sette). Manjuela macht sich freilich keine Illusionen darüber, wie weit sie mit ihrer Aktion „Hilfe bei Politikern“ kommen wird. „Das, was die uns gegenüber praktizieren, ist ja nur Teil einer Kampagne gegen Randgruppen“, hat sie erkannt. „Diese Kampagne hat sich schon längst unterschwellig entwickelt und erfährt durch die Scharfmacher der neuen Regierung nur ihre Offizialisierung.“ Tatsächlich sind Regierungskommissare landauf, landab zugange, um alles einzusammeln und dann möglichst auszuweisen, was nicht ins Bild der fromm gescheitelten Berlusconi-Fans paßt. Unter die Räder kommen dabei freilich nicht nur Immigranten und Prostituierte, sondern auch Behinderte oder Drogensüchtige.

Solidarität ist rar, auch bei den Anbietern käuflicher Sexpraxis. So haben die Viados mit den italienischen Prostituierten schon immer ihre Probleme – wie übrigens auch andere Frauen des Gewerbes, die aus dem Ausland kommen. Sie gelten als „zu allem bereit“, so die Sprecherin des „Komitees für die Rechte der Prostituierten“, Carla Corso: „Während wir bei uns in der Regel die Benutzung von Kondomen durchgesetzt haben, machen Afrikanerinnen und Leute aus dem Osten gegen Aufschlag alles auch ohne.“ Deshalb plädiert sie für eine Art ethnischer Trennung – die Immigrantinnen sollen „anderswo ihr Geld verdienen. Die Kunden, die zu uns kommen, sollen wissen, daß Aids bei uns keine Chance kriegt.“

Natürlich steckt hinter der Auseinandersetzung auch der Ärger, daß die zu allem Bereiten den Einheimischen immer mehr Kunden wegnehmen – Exotik ist eben überall gefragt: „In der Regel bleiben uns nur noch die Alten“, klagt Carla, tröstet sich dann aber: „Wobei ich allerdings sagen muß, daß ich die älteren Herren sowieso immer lieber gewinne – sie sind höflich, ritterlich, bringen einem beim nächsten Mal oft sogar ein Geschenk mit, richten sich meist auch fein her, während die anderen oft stinken, eklig sind, und wenn der Atem nicht schon zum Kotzen einlädt, sind es die Worte, die da rauskommen...“

Dem stimmt Manjuela nun wieder zu: „Genau das sind die Leute, mit denen wir zu tun haben.“ Warum aber fallen ihr gerade die Leute von der „Forza Italia“ so unangenehm auf? „Weiß nicht – vielleicht müssen die sich, noch neu und unbekannt, besonders aufspielen.“ Ob sie es ernst meinen mit dem Ausweisen? „Genau das ist es ja: Ich denke nicht, daß die selbst eine Moral haben, und ich denke auch nicht, daß sie uns wirklich rauswerfen wollen. Aber die Leute sind Pragmatiker, die stellen Moral zur Schau, wenn Moral angesagt ist, und das ist halt derzeit so.“

Darum sind Manjuela und einige ihrer Kolleginnen auf eine neue Idee verfallen: Statt der Politiker wollen sie über ihre Nachtclub-Freundinnen mehr an Film- und Fernsehregisseure herankommen: „Ein einziger Film, der unser Schicksal darstellt, oder einer, der unsere Welt meinetwegen auch von der komischen Seite auf die Leinwand bringt, würde uns wahrscheinlich einen Stand bringen, der nicht mehr so leicht auszuhebeln wäre.“

So einer „wie Fellini“, meint sie, könnte eine Halbwelt wie die ihre wieder zu Ansehen bringen: „Die Dolce vita war schließlich vorher auch offiziell als Müßiggängertum verpönt, als Schmarotzen, und es wurde durch Fellini so ästhetisiert, daß niemand mehr etwas dagegen hatte.“ Manjuela hat alle Filme von Fellini gesehen. Der „müßte heiliggesprochen werden – so viele Menschen, die sonst nie bemerkt worden wären, hat er den Massen ins Bewußtsein gebracht“.

Aber Fellini ist tot und kein angesehener Nachfolger in Sicht. „Vielleicht muß man ja sowieso umgekehrt denken: Fellini ist durch ,La dolce vita‘ ja erst berühmt geworden.“

Die Frage allerdings, ob jemand mit einem Filmepos über die Viados und anderen Randgruppen im Italien Berlusconis seinen Weg machen könnte, läßt Manjuela lieber offen. Immerhin: Mit zwei Filmemachern, Nanni Moretti und Roberto Benigni, hat sie Kontakt geknüpft, sagt sie jedenfalls. Sie scheinen nicht abgeneigt.

Nur: Die beiden sind derzeit beim Verband der Produzenten nicht sonderlich angesehen, und bei Silvio Berlusconi auch nicht. Der aber kontrolliert mittlerweile komplett die Projektförderung im Fernsehbereich. Das Zittern vor „Forza Italia“-Freiern wird für die Viados also wohl noch einige Zeit weitergehen.