■ Jocelyn McCalla, Direktor der „National Coalition for Haitian Refugees“, über die Haiti-Politik der USA: Clinton hat kapituliert
Die in New York ansässige Flüchtlingsorganisation „National Coalition for Haitian Refugees“ hat sich in den vergangenen Jahren zusammen mit US-Bürgerrechtsgruppen für Asylsuchende aus Haiti eingesetzt. Jocelyn McCalla, ihr Direktor, ist 1969 aus Haiti in die USA immigriert und gehörte zum Kreis jener Exilanten, die nach dem Wahlsieg Bill Clintons mit dem außenpolitischen Beraterteam des Demokraten eine neue Haiti-Politik zu formulieren versuchten.
Die taz sprach mit Jocelyn McCalla in New York.
taz: Bill Clinton hat den bislang friedlichen Einmarsch der US- Truppen nach Haiti und die Kooperationsbereitschaft des haitianischen Militärs als Erfolg seiner kombinierten Strategie aus Diplomatie und militärischem Druck gepriesen.
Jocelyn McCalla: Für mich stellt sich die Lage etwa so dar: Bill Clinton hat endlich die Pistole gezogen, sie Raoul Cédras auf die Brust gesetzt und dann gesagt: „Bitte, lieber Cédras, mach oder sag irgend etwas, damit ich nicht abdrücken muß. Ich stimme allem zu.“ Das Abkommen zwischen Jimmy Carter und der De-facto-Regierung in Port-au-Prince hat Clinton aus einer innenpolitisch extrem schwierigen Situation geholfen, in der die Opposition gegen eine Militärinvasion in Haiti unüberwindbar schien. Das Abkommen hat allerdings überhaupt nichts zum ursprünglichen Ziel beigetragen, die Demokratie in Haiti wiederherzustellen. Clinton hat gegenüber den Forderungen der haitianischen Militärführung kapituliert: Erstens soll die Amnestie für die Militärführer, wie sie schon vor anderthalb Jahren im Abkommen von „Governor's Island“ festgelegt worden war, nun auf alle Armeeangehörigen ausgedehnt werden. Möglicherweise werden sogar paramilitärische Einheiten mit eingeschlossen. Zweitens wurde der Forderung der Putschisten nach umgehender Aufhebung des Embargos entsprochen...
...was im Widerspruch zur UN- Resolution 940 steht...
Genau. Die Resolution, die im Juli nach der Ausweisung der UN- Menschenrechtsbeobachter verabschiedet wurde, besagt, daß die Sanktionen erst aufgehoben werden, wenn Präsident Aristide nach Haiti zurückgekehrt ist und sein Amt wieder eingenommen hat. Clinton hat nicht nur die UNO-Resolution begraben, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen unterminiert. Kein Land kann unter diesen Umständen der UNO zutrauen, auf angemessene Weise Konflikte zu lösen. Wer sich also immer noch der Illusion hingegeben hat, die UNO könne unabhängig handeln, der ist in den letzten Tagen in die Realität zurückgeholt worden. Drittens ist in dem Abkommen das haitianische Parlament, das das Amnestiegesetz verabschieden soll, erneut als glaubwürdige und legitime Institution dargestellt worden. Zwei Drittel der Abgeordneten im Senat sind nicht durch das Volk legitimiert; viele Pro-Aristide-Mitglieder, aber auch neutrale Parlamentarier aus dem Abgeordnetenhaus sind ins Ausland geflohen. Kurz gesagt: Das Abkommen zwischen Carter und den Putschisten ist ein Ausverkauf der Menschenrechte, der Demokratie – und Aristide wurde gleich mit verkauft.
Ist Cédras der große Gewinner?
Meiner Ansicht nach ja. Ihm ist es gelungen, Aristide völlig ins Abseits zu manövrieren. Aristides Name taucht in dem Abkommen noch nicht einmal auf. Cédras hat zudem erreicht, daß er nicht mehr als Verbrecher geächtet wird, der für unzählige Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Er ist plötzlich der professionelle Offizier, dem angeblich nichts wichtiger ist als der Friede in seinem Land. Zu diesem radikalen Imagewandel hat vor allem beigetragen, daß einer der prominentesten und angesehensten Militärs der Welt, General Colin Powell, der einst gegen einen anderen blutrünstigen Diktator Krieg geführt hat, sich mit Cédras an einen Tisch setzt und ihn bittet, dieses Abkommen zu akzeptieren. Das ist für Cédras ein grandioser Sieg.
Nach dem Sturz Aristides vor drei Jahren sind über 3.000 Menschen ermordet, Tausende verhaftet oder ins Exil getrieben und die Pro-Aristide-Bewegung systematisch aufgerieben worden. Ist eine Invasion unter den von ihnen kritisierten Umständen nicht trotzdem besser als gar keine Invasion?
Selbstverständlich ist eine internationale Militärpräsenz in Haiti immer noch besser als gar keine Militärpräsenz. Grundsätzlich bin ich natürlich froh, daß die Invasion fürs erste ohne Blutvergießen verlaufen ist. Das Problem ist, daß die Clinton-Administration die Sicherheit ihrer eigenen Truppen aufs Spiel setzt. Es ist ein Irrglaube, aus der Kooperationsbereitschaft des haitianischen Militärs zu schließen, daß deren Führer nicht irgendwann die paramilitärischen Todesschwadronen auf die Bevölkerung und auf die US-Truppen losjagen. Ich bin überzeugt, daß Cédras nach wie vor alles daransetzen wird, die Rückkehr von Präsident Aristide zu verhindern.
Welche Handlungsoptionen bleiben nach diesem Abkommen für Aristide?
Er kann versuchen, dieses Abkommen – so schlecht es ist – bis an die Grenzen zu seinen Gunsten auszulegen. Zum Beispiel könnte er umgehend die Debatte über die Rahmenbedingungen einer Amnestie eröffnen. Er kann argumentieren, daß das haitianische Parlament nicht vom Volk legitimiert ist – und folglich keine Gesetze, schon gar nicht bezüglich einer Amnestie, verabschieden kann. Der wichtigste Punkt ist: Die Zukunft Haitis hängt davon ab, ob es gelingt, eine gesetzestreue und loyale Polizeitruppe und Armee zu schaffen. Für diese beiden Institutionen darf niemand rekrutiert werden, der einer Todesschwadron angehört hat, sich Menschenrechtsverletzungen oder anderer Vergehen schuldig gemacht hat. Darauf müssen in den kommenden Wochen nicht nur Aristide, sondern auch die internationale Öffentlichkeit, vor allem die Menschenrechtsorganisationen, bestehen.
Nun haben die US-Militärs und die Armee und Polizei Haitis in der Vergangenheit recht gute Beziehungen untereinander gepflegt. Sowohl Raoul Cédras als auch Polizeichef Michel François sind wie zahlreiche andere haitianische Offiziere in den USA ausgebildet worden. Vertrauen Sie den US- amerikanischen Militärs, denen nun die Professionalisierung und Reform von Militär und Polizei in Haiti obliegt?
Ich denke schon, daß die US- Militärs ihre Aufgabe ernst nehmen werden. Das Problem liegt eher in Washington, wo die Clinton-Administration begreifen muß, daß Haiti eine zivile Polizei, aber keine Armee braucht. Das muß das oberste Ziel sein, solange internationale Truppen im Land sind: die Schaffung einer Polizei, die eine zivile Regierung ebenso wie das Recht des Volkes auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit respektiert und nicht als Bedrohung betrachtet. Gespräch: Andrea Böhm
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