Wieviel Gift darf es denn diesmal sein?

Die letzte Lücke der neuen, europäischen Pestizidverordnung wird geschlossen: Die EU-Agrarminister sollen die Vorschläge der Herstellerfirmen für Grenzwerte im Grundwasser prüfen  ■ Von Susanne Krispin

Berlin (taz) – Auch Umweltminister Klaus Töpfer konnte die Niederlage nicht mehr beschönigen. Die europäische Trinkwasserverordnung ist nur noch ein Stück Papier, seit der EU-Ministerrat in diesem Sommer neue Richtlinien für die Anwendung von Planzenschutzmitteln in der Landwirtschaft beschlossen hat. Sie sieht vor, selbst Chemikalien wie DDT und Lindan wieder zuzulassen. Begrenzt werden soll nur die Menge der Rückstände, die nach dem Einsatz der Gifte auf den Äckern im Grundwasser zurückbleiben.

Noch ist nicht entschieden, wieviel das im Einzelfall sein soll, sicher ist nur, daß der bisher in der Trinkwasserverordnung festgelgte Höchstwert von 0,1 Mikgrogramm pro Liter Wasser um ein Mehrfaches überschritten werden darf. Die noch bestehende Lücke der Verordnung soll nun geschlossen werden. Die EU-Kommission will Grundwassergrenzwerte für die 90 Stoffe festlegen, die nach der neuen Richtline wieder zugelassen sind – für jeden Stoff alleine, nicht etwa als Obergrenze für alle zusammen, wenn sie vermischt vorkommen und dann weithin unbekannte, zusätzliche Schäden anrichten könnten.

Bonns Umweltminister hofft noch, mit einer Ausnahmeregelung für Deutschland die alte Trinkwasserverordnung retten zu können. Aber Landwirtschaftsminister Jochen Borchert, ebenfalls CDU, hat sich längst bereitwillig auf die neue Lage eingelassen. Er ließ am Mittwoch in Brüssel verlauten, über den alten Grenzwert müsse jetzt neu diskutiert werden.

Einhalten können ihn die deutschen Landwirte schon jetzt nicht immer. Die Klagen der Bauern- und Chemieverbände über die viel zu strenge Trinkwasserverordnung der EU sind dem Minister geläufig.

Die Lobby der Agrarindustrie diktiert

Einen „Rückfall in die Steinzeit“ befürchtet jetzt der Bundesverband der Gas- und Wasserwirtschaft (BGW). Derzeit müßten kaum noch Brunnen stillgelegt werden, denn die Pestizidbelastung sei minimal.

Nachweisbar ist sie dennoch: Von den über 500 Gesundheitsämtern, bei denen Greenpeace neulich die Grundwasserwerte abgefragt hatte, waren bisher nur etwa 30 Prozent zu einer Antwort an die Umweltschützer bereit. Die Hälfte von ihnen räumte ein, daß sich Pestizide im Grundwasser befanden, in einem Drittel dieser Fälle war der Grenzwert überschritten.

Nun drohe Borchert endgültig umzufallen, warnt der BGW, auch der Umweltmninister versuche nur noch, einen Gesichtsverlust zu vermeiden. Tatsächlich werde der bisher geltende Vorsorgegrundsatz für den Schutz des Trinkwassers aufgegeben. Die Europabgeordnete von Bündnis 90/ Grüne, Hiltrud Breyer, fordert Jochen Borchert und die EU-Kommission auf, in der neuen Pestizidrichtlinie doch wieder den alten Trinkwassergrenzwert zu verankern. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Susanne Kastner verlangt, die Regierung in Bonn möge wenigstens vor der Wahl „ein klares Signal“ für den Gewässerschutz setzen.

Zu spät: Die EU-Kommission hat die Herstellerfirmen bereits aufgefordert, schon mal ihre Grenzwerte für mutmaßlich ungefährliche Konzentrationen ihrer Stoffe im Trinkwasser vorzuschlagen. Die Daten der Industrie sollen danach in den nationalen Agrarministerien überprüft und schließlich in das Regelwerk europäischer Pestizidgrenzwerte überführt werden.

Fein säuberlich sind die jeweiligen Gifte auf die Ministerien der Mitgliedsländer verteilt. Die Deutschen beispielsweise sollen sich mit den Vorgabe der Industrie über den Grenzwert bei Isoproturon befassen. Großbritannien wird dies für Atrazin tun und Belgien für Lindan.

Für Hiltrud Breyer ist damit der weitere Gang der Zulassungsverfahrens vorgezeichnet. „Wenn die Industrie allein Vorschläge macht, wird sie die Chance nutzen, ihre Interessen durchzusetzen.“