Einfach zu abgeklärt für Lust

■ Alfred Brendl mit Beethoven-Sonaten in der Musikhalle

Er ging aufrechter als beim letzten Hamburg-Konzert. Keine Röhrenhosen. Die Arme angelegt beim Gehen. Mit den fünf Stücken, die er am Donnerstag in der Musikhalle spielte, hat der Pianist Alfred Brendl neun der zweiunddreißig Beethoven-Sonaten bewältigt. Diesmal waren es die eher unbekannten. Oder kennt jemand ohne Musikstudium die Sonatine op. 79?

Verdient hat sie das Schattenda-sein nicht. Die behende Fröhlichkeit, mit der der 63jährige das Alla tedesca des Beginns spielte, stand ihr gut. Das neckische Jonglieren mit Terzen, eine Art Leit-Material der Sonate, machte offensichtlich schon beim Komponieren Spaß. Die anschließende Fis-Dur-Sonate op. 78 ist tiefer und dichter. Beethoven selbst hielt sie für besser als die in cis-moll – die sogenannte „Mondscheinsonate“. Alles, bis auf die zauberischen vier Einleitungstakte des Beginns, wird hier von mitreißendem Bewegungsdrang verflüssigt. Brendl allerdings – an diesem Abend eher schöngeistig denn romantisch orientiert – badete eher, als daß er schäumte.

Von der Sonate op. 28 kennt man den Namen „Pastorale“ und verwechselt sie mit dem der Sinfonie Nr. 6. Sie bedeutete eine weitere Steigerung nach innen, wo Brendl wiederum Besonnenheit feierte, Unruhe ignorierend. So auch in den Höhepunkten nach der Pause. Das teils sehr schroffe Aufeinanderprallen gegensätzlicher Momente in der Dialog-Struktur des Eingangssatzes von op. 90 glich er versöhnlerisch aus. Der Schubert'schen Sangesseligkeit des zweiten Satzes verlieh er durch lastende Tempi eher Leid als Lust. Die funkelnde Motorik des Kopfsatzes von op. 7 machte dagegen wieder Spaß. Da flogen die Hände, da atmete das zweite Thema kantabel und all das Wirbeln ließ nicht nach. Ein Rätsel, warum um das große Largo dieser Sonate bislang nur Kenner wissen. Nicht ohne Spannung schürfte Brendl darin und förderte Ausdruck und Ruhe.

Im folgenden Scherzo aber und noch mehr im abschließenden Rondo zog es ihn wieder aus musikalischen Himmeln in irdischen Dämmer. Tiefsinn ist der Tod jeder Lust. An diesem Abend durfte Beethoven freilich nicht lustvoll sein. Brendl war dafür, so schien's, zu abgeklärt. Stefan Siegert