piwik no script img

„Nur der Papst bleibt polnisch“

Der „Anachronistische Zug“ zieht durch Berlin und die Brecht-Tochter Hanne Hiob rezitiert die Realsatire ihres Vaters auf „Freiheit und Democracy“  ■ Von Uwe Rada

Erschrocken bleibt die Frau stehen. Sie schaut. Geht einen Schritt zurück. Dann heitern sich ihre Züge auf: „Also so was“, staunt sie, „aber gut gemacht.“ Vor ihr steht mit schwarzer Robe Roman Herzogs Konterfei mit einem Schild in der Hand, auf dem zu lesen ist: „Bin koa Nazi, aber für das Recht, ein Nazi zu sein.“

Vor dem Arbeitsamt in der Lichtenberger Gotlandstraße parken 40 Fahrzeuge. Personenwagen, LKWs, alte „W-50“ und ein Trabi samt Transparent: „Wir waren das Volk“. Auf einem Tieflader thront die Freiheitsglocke. Die dritte Strophe des Deutschlandlieds ist in ihr eingraviert, den unentwegten Ton dazu freilich gibt die Melodie Kurt Weills zum „neuen Kanonensong“.

Der „Anachronistische Zug“ zieht durch Berlin. Was 1980 anläßlich der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß vom bayrischen Sonthofen nach Bonn auf den Weg gebracht wurde, tourt nun ein zweites Mal durch die Hauptstadt. Beim ersten Mal 1990 war der Zug pünktlich zur „ersten gesamtdeutschen Wahl“ von Bonn nach Berlin gekommen. „Aus der Satire“, sagt eine Teilnehmerin von damals, „ist eine Realsatire geworden.“

1947 schrieb Bertolt Brecht ein Gedicht über die alten Herren im neuen Gewande von „Freiheit und Democracy“: „Und der Blinde frug den Tauben/ Was vorbeizog in den Stauben/ Hinter einem Aufruf wie/ Freiheit und Democracy“. Vierzig sarkastische Strophen über die Deutschen, ein Gedicht, das nach dem Siegeszug der Bundesrepublik durch Ostelbien an Aktualität nichts eingebüßt, sondern eher hinzugewonnen hat. Ein deutscher Horrorladen, dem damals wie heute der Spiegel vorgehalten wird: „Und sie fahrn in sechs Karossen/ Alle sechs Parteigenossen/ Durch den Schutt, und alles schrie:/ Freiheit und Democracy!“

Die sechs Parteigenossen, das sind die Unterdrückung, der Aussatz, der Betrug, die Dummheit, der Mord und der Raub. „Freiheit und Democracy“: Für wen, fragt Brecht, für die „Gönner der grauen Herren von den Kartellen?“ Freiheit für die Rüstungsindustrie? Für die „Machtverehrer, Hirnverheerer, für das Recht, die deutsche Jugend, zu erziehn zur Schlächterjugend?“

Vor dem Bundeswehrbus („Unter den Linden, Champs Elysées, Trafalgar Square“) stehen sie mit schwarzen Kreuzen auf weißen Umhängen. Auf ihrem Schild steht: „Rache für 1242“, dahinter: „Nur der Papst bleibt polnisch“. „Damals“, erklärt der Anführer der Truppe, „wurden wir in der historischen Schlacht auf dem Eis des Peipus-Sees von Alexander Newski geschlagen.“ Zu spät. „Mittels Raub und Gewalt“, schrieb Karl Marx später über die Ritter des Tempelordens, „wurde Preußen germanisiert und in eine deutsche Militärkolonie verwandelt.“

Militär und Kolonie sind auch heuer beim „Anachronistischen Zug“ die beherrschenden Themen. „Deutsches Reisebüro Bundeswehr – Ziele in aller Welt“, liest man auf einem Bus. Vor ihm in der Kolonne stehen drei blütenweiße Mercedes-Transporter, tätig im ältesten Gewerbe der Welt: „Wir sind das Volk“, wirbt die Commerzbank auf dem ersten Wagen, dahinter die Dresdner Bank: „Wir sind ein Volk“, schließlich die Deutsche Bank: „Du sollst keine anderen Banken haben neben mir.“

Neben dieser Spruchreihe von Heiner Müller wird der „Anachronistische Zug“ von einer Reihe weiterer Künstler – meist aus dem Osten – und zahlreichen Politikern – meist von der PDS – unterstützt. Das eigentliche Anliegen, heißt es im Programm, sei die Frage, ob das „unbekannt Geschlecht“ aus Brechts Gedicht seine Aussage, „das Volk“ gewesen zu sein, in die Tat umzusetzen bereit ist, um damit den „gegenwärtigen Lauf der Dinge zu korrigieren“. Oder aber ob die deutsche Geschichte so fortgeschrieben werden soll, wie sie der „Anachronistische Zug“ widerspiegele.

Bis Sonntag wird der Zug noch durch die Stadt touren und Hanne Hiob-Brecht das Gedicht ihres Vater rezitieren. Heute in Marzahn, morgen in Pankow. Anders als 1990 durften die Anachronisten gestern sogar durch das Brandenburger Tor ziehen. „Eine Reaktion auf den Großen Zapfenstreich der Bundeswehr“, wie eine Friedrichshainerin erklärt.

Daß das Spektakel vor allem zu Wahlzeiten durch die Straßen rollt, hat freilich nicht nur politische Gründe, sondern auch ästhetische. Wer sich hernach durch die Straßen begibt und Wahlplakate mit der Aufschrift liest „Damit es weiter aufwärts geht“, möchte sie am liebsten abreißen und als gar nicht anachronistische 41. Strophe an die rollende Realsatire kleben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen