Wenn der Urtrieb hervorbricht

■ Die Suche nach mythischer Grenzerfahrung treibt Untrainierte zwischen 30 und 50 zum Marathonlauf / Hoimar von Ditfurth: Der urzeitliche Jagdtrieb des Menschen lebt fort

Was die dreißig- bis fünfzigjährigen untrainierten Männer und Frauen zum Abenteuer des Marathons treibt, umschrieb der populistische Fernsehprofessor Hoimar von Ditfurth als eine Suche nach mythischer Grenzerfahrung des an Leib und Seele unbefriedigten modernen Menschen. Allerdings spielen dabei weder die Ursachen von Lebenskrisen oder der Bewegungsarmut noch der Frust gegenüber der hochtechnisierten Gesellschaft die Hauptrollen, die Mann und Frau trotz Suff und Zigarette zum Extremlauf drängen. Nein, meinen von Ditfurth und seine Kollegen, der Trieb zum Marathonlauf komme von „urzeitlichen Lebensumständen“, die dann und wann aus uns Menschen herausbrächen. Die Tagesrunde der Jäger und Sammler, deren Lauf-Radien von den Wasserstellen rund 20 Kilometer entfernt lagen (macht also insgesamt 40 Kilometer), lieferten das mythische Vorbild. Die Wissenschaftler: „Der Mensch ist Renner. Ermüdet von der Jagd und beladen mit der Beute, lag die Belastungsgrenze der Urmenschen bei 40 Kilometern.“

Es sind also die 40-Kilometer- Jagd und die innere Triebuhr, die in der Marathonbrust weiterticken. Ganz recht, meint der 35jährige Polizist Klaus, für den der Lauf so etwas wie die Jagd nach Beute darstellt. Für seinen ersten Marathon habe er etwas trainiert, früher schon mal ein 20-Kilometer-Rennen bestritten, und er will nun die „eigentliche Grenze“ der Belastbarkeit ausloten. „Ich muß da durch“, sagt er. „Schwierig wird es ab Kilometer 37, aber ich will die 42 Kilometer bis zum Ku'damm.“

Rund 40 Kilometer rennen sei doch „ganz natürlich“, argumentiert auch der wissenschaftliche Laborant „und Raucher“ Hendrik (44) aus Kreuzberg, der mit „ein paar Waldläufen“ seine Fitneß aufgefrischt hat. Ein besonderer Ergeiz habe ihn nicht gepackt. „Irgendwie“ die Lust, mit anderen zu rennen, muß es gewesen sein. Und wenn es „weh“ tut und nicht mehr geht, „gibt's halt nichts zu gewinnen“. Ganz anders fühlt darum die 31 Jahre alte Silvia, die sich von ihrem zweiten Marathon eine Verbesserung der Zeit unter 4:00 Stunden verspricht. Teile der 40-Kilometer-Strecke hätte sie sich schon angeschaut und hofft, diese dadurch besser zu bewältigen. Auch die Ökonomie der Arbeitsenergie spielt eine Rolle: „Der größte Fehler wäre es, das Rennen zu schnell anzugehen.“ Am Ende fehle die Kraft und man erreiche nicht das Ziel. Darauf komme es aber an. Da weiß von Ditfurth: „In dem Triumph, den ein Läufer empfindet, wenn er die Arme beim Erreichen des Ziels hochreißt, steckt die Urerinnerung an die Heimkehr nach erfolgreicher Jagd.“ Rolf Lautenschläger