Baum ab für die Platz-Reifen!

Bad Saarow bekommt das größte Sportprojekt in Europa. Freizeitspaß vom Golfplatz bis zum Yachthafen. Doch wieviel Löcher braucht das Land?  ■ Von Tomas Niederberghaus

Manfred Pensel ist der Kapitän. Damit die Seefahrt auf dem Kaffeedampfer „MS Fürstenwalde“ so richtig lustig wird, erzählt er gerne einen kleinen Witz. Das Kajütendach senkt sich. Sekunden später lugt Herr Pensels Oberkörper mit dem roten Kopf wie ein Leuchtturm aus der Dachluke. Kurz zieht Herr Pensel seine lupendicke Hornbrille auf halbe Nasenhöhe. Und los geht's. „Zu DDR-Zeiten“, sagt er, „haben wir die Aale hier am Scharmützelsee grün gefangen, braun geräuchert und schwarz verkauft.“ Das ist lustig: Ein gutes Dutzend Tagesgäste aus Berlin lachen sich halb kaputt. Langsam zieht die „MS Fürstenwalde“ an einem grünen Waldstreifen vorbei. In den Lichtungen schlummern kleine Häuser. Kein Mensch ist zu sehen. Auch das alte Strandbad in Bad Saarow ist wie ausgestorben. Wer Muße hat, genießt die Idylle, die Herbstsonne und den Anblick der beiden jungen Männer, die sich auf einem Holzkutter in den Armen liegen.

Die Landruhe an diesem Mittwoch nachmittag ist für Bad Saarow untypisch. Etwa 450.000 Tagestouristen überfallen die Gemeinde jährlich. Fremdenverkehrsprospekte locken mit Fotos „Fröhlicher Wanderer in reizvoller Umgebung“, einem „prächtigen Farbenspiel der Natur“ und dem feuchten Versprechen: „Auf dem Wasser wird's Ihnen nie langweilig.“ In der Tat: Bad Saarow hat einen lustigen Kapitän. Gäste sollen jedoch nicht nur bei Kaffeefahrten ihr Geld lassen. Deshalb haben Hotels, Restaurants und Pensionen tüchtig investiert: Im Jahre 5 nach der deutschen Vereinigung deuten die aufgepeppten Außenfassaden auf komfortable Unterkünfte hin. Die Gemeinde selbst möchte nach Auskunft der Tourismusbeauftragten Renate Ullrich in absehbarer Zeit „mindestens 100 Millionen Mark“ in den Fremdenverkehr, das Kurwesen und die dafür notwendige Infrastruktur pumpen. Privatanbieter in abgeschiedener Lage machen mit Firmenlogos und Wegweisern allüberall am Straßenrand auf sich aufmerksam. Um dem Wettbewerb standzuhalten. Bad Saarow erstickt im Schilderwald. Und den will Bürgermeister Axel Walters nun roden. Das Baurecht, sagt er, erlaubt nur „Werbung am Ort der Leistung“. Der Gemeindesegen hängt deshalb auf Halbmast.

Weitaus schlimmer wiegt jedoch eine andere Rodung: Im Südwesten des Städtchens fielen 17 Hektar Wald der Axt zum Opfer. Es ist eingetreten, was der fabulierfreudige DDR-Schriftsteller Hermann Kant schon während der Honecker-Zeit in seiner Bad-Saarow- Betrachtung zynisch voraussagte: Mit dem Kapitalismus kommen die Golfer! Drei 18-Loch-Plätze haben die Meister des weißen Sports, Arnold Palmer, Bernhard Langer und Nick Faldo, entworfen. Das flächendeckende Vergnügen am Ufer des Scharmützelsees ist Teil einer der größten entstehenden Sport- und Freizeitanlagen Europas. Zu dem 400-Millionen-Mark- Vorhaben gehören weiter: ein Nick-Bollettieri-Tenniscenter, ein Alwin-Schockemöhle-Reitzentrum, ein Yachtclub mit Marina und Bootshäusern, ein Fünf-Sterne-Hotel und viele Immobilien. Eine Koproduktion des Sporting Clubs Berlin (SCB) und des größten Sportmanagement-Konzerns der Welt, der International Management Group – Mark H. McCormack (IMG).

Bad Saarow ist nur eines der insgesamt 33 positiv beschiedenen Raumordnungsverfahren für Golfplätze in Brandenburg. Insgesamt reicht die Kapazität für 20.400 Spieler. Dem steht jedoch nur eine „erwartete Nachfrage in der Größenordnung von 10.600 Clubgolfern in Berlin und Brandenburg“ gegenüber. So steht es in einem Gutachten zur Bedarfsermittlung für Golfplätze. Die Zahl potentieller Golfer wird nach Ermittlungen des Hannoveraner Tourismusbüros BTE völlig überschätzt. Dennoch: Wenn alle Gemeinden an ihren Projekten festhalten, ist Brandenburg bald mit einem etwa 3.300 Quadratmeter großen Rasenteppich überzogen – gut gedüngt, bestens bewässert. Das brandenburgische Umweltministerium hat für das Golfprojekt in Bad Saarow zwar eine sogenannte Landschaftsschutzrechtliche Genehmigung erteilt, sieht aber durchaus den „Naturgenuß“ beeinträchtigt. Das bedeutet: „die Teilhabe der Allgemeinheit am Erleben einer Landschaft, so wie sie ist“. Als „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme“ müssen die Betreiber eine Sicherheit in Höhe von etwa 1,2 Millionen Mark hinterlegen. Was den Radwanderern und Ausflüglern natürlich wenig nützt. Kritiker befürchten, daß ihnen der Zugang zu reizvollen Gebieten schlichtweg verwehrt wird. Und daß sich im Seebad eine Brieftaschenmentalität breitmacht. „Die Aufnahmegebühr“, meint hingegen der Amerikaner Michael Mlaker vom Sporting Club Berlin, „beträgt doch nur 40.000 Mark für eine Familie mit Kindern.“ Mlaker macht sich keine Sorgen über möglicherweise ausbleibende Golfer. „Wir haben schon dreitausend Interessenten. Eine phantastische Resonanz.“ Es sei doch völlig klar, daß „der Natur überhaupt kein Schaden zugefügt wird“. Zudem schaffe das Projekt stolze 450 Arbeitsplätze. Mlaker fühlt sich nämlich der Region verpflichtet. Mit klangvollen Namen knüpft er an die mondäne Vergangenheit des Ortes: Winston Churchill und Max Schmeling schlugen sich in Bad Saarow Mitte der zwanziger Jahre die Bälle um die Ohren. Durch den bevorstehenden Regierungsumzug sollen bald gutbetuchte Staatsdiener in karierten Hosen und Lederhandschuhen der Golffreizeit frönen. „Der Scharmützelsee ist nur eine Stunde von Berlin entfernt. Er könnte Sylt den Rang streitig machen“, meint Mlaker. Bei einer derartigen Lobby werden sich die zuständigen Ministerien bestimmt nicht mehr scheuen, Bad Saarow in wenigen Wochen den Titel des Kurortes zu verleihen.

„Die Anforderungen erfüllen wir“, sagt Renate Ullrich in freudiger Zuversicht, „zudem war die Stadt immer schon ein Kurort.“ Bis vor gut zwei Monaten kurierten in Bad Saarow ausschließlich stationierte und nicht stationierte Russen ihre Leiden aus: chronische Magenerkrankungen, Leberstörungen und rheumatische Beschwerden. Nun sind sie abgezogen. Ihre Badewannen, medizinischen Gerätschaften und Ruheliegen haben sie mitgenommen. An dem beigefarbenen Kurmittelhaus bröckelt die Farbe ab. Doch schon 1996 sollen auch die Golfer in öffentlichen Einrichtungen kuren können. Herr Pensels Witz wird sich dann wohl ändern: „Wenn die schwarzen Regierungsbeamten in Bad Saarow einfallen, erleben sie ihr blaues Wunder: Nach dem Moorbad fahren sie braun zurück.“

Und dann werden sich die Tagesgäste vielleicht wieder lachend auf die Schenkel klopfen.