piwik no script img

■ Vom Nachttisch geräumtSchwarzseher

Ganz falsch, den Quotenstrategen der Radios vorzuwerfen, sie wollten nur noch Musik. Ihnen ist ganz egal, was kommt. Hauptsache, es dauert nicht länger als eineinhalb Minuten. Es geht ums Gemetzel, nicht um Wort- und Musikanteile. Bleiben darf nur noch Gehacktes.

Das war mal anders. In der dritten Ausgabe der Frankfurter Adorno Blätter findet man die Aufzeichnung einer Fernsehdiskussion aus dem Jahr 1968. Der WDR zeigte zwei kleine Beckett- Filme und ließ im Anschluß daran die Herren Adorno, Boehlich, Esslin, Falkenberg und Fischer über „Comedie“ und „Film“ diskutieren. Mehr als vierzig Seiten lang. Die Herren durften sich sogar erregen, einander ins Wort fallen. Manchmal heißt es in eckigen Klammern „Stimmengewirr“. In deutschen Funkhäusern muß damals das Chaos geherrscht haben. Adorno konnte reden, wie ihm der Schnabel gewachsen war, ohne daß ihm einer sagte, er solle sich gefälligst verständlich ausdrücken.

Das Schöne an diesem Gespräch ist, daß die Teilnehmer die Zeit hatten, das Mikrophon und die Kameras zu vergessen und so nach einer Weile einigermaßen enthemmt redeten, als wären sie unter sich. Das macht die Debatte lebendiger als die meisten Talk- Shows von heute. Daß dabei auch für die Beckett-Philologie einiges abfällt, versteht sich bei der hochkarätigen Besetzung von selbst. Am besten gefallen hat mir aber der Witz, mit dem die beiden einander sonst oft befehdenden Theodor W. Adorno und Ernst Fischer sich aufs Schwarzsehen einigten:

„Fischer: ,Schaun S', ich würde zunächst sagen: optimistisch zu denken ist kriminell.‘

Adorno:,Ja!‘

Fischer: ,Denken und Optimismus sind nicht vereinbar.‘

Adorno: ,D'accord!'“

Ein Dialog fast so schön wie vom Meister selbst.

„Frankfurter Adorno Blätter“. Band III, hrsg. vom Theodor W. Adorno Archiv. edition text + kritik, 153 Seiten, 34 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen