Sonderweg für Norwegen?

■ Der Gewerkschafts-Dachverband empfiehlt, beim Referendum über den Beitritt zur EU mit „Nein“ zu stimmen

Oslo (taz) – Die Arbeiterchefs wollten der sozialdemokratischen Regierung den Weg ebnen. Sie hatten beschlossen, den Mitgliedern der norwegischen Gewerkschaften die Zustimmung zum Beitritt Norwegens zur Europäischen Union zu empfehlen. Doch es kam anders. Mit der knappen Mehrheit von 156 zu 149 Stimmen haben die Delegierten des Gewerkschafts- Sonderkongresses am Donnerstag abend anders entschieden: Die Delegierten lehnten der Antrag der Führung ab und empfehlen beim kommenden Referendum über die EU mit „Nein“ stimmen.

Der Beschluß ist nicht nur eine empfindliche Niederlage für Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland und ihre Regierung, die für einen EU-Beitritt Norwegens kämpft. Möglicherweise signalisiert die Entscheidung der Gewerkschaftsmehrheit auch das endgültige Scheitern des norwegischen EU-Beitritts.

Für die am 28. November anstehende Volksabstimmung haben die letzten Meinungsumfragen einen klaren 17-Prozent-Vorsprung der EU-Gegner ergeben. 54 Prozent der Norweger und Norwegerinnen wollen der Gemeinschaft fernblieben, gerade noch 37 Prozent folgen dem Regierungskurs, 9 Prozent sind noch unentschieden.

Gro Brundtland und mit ihr nahezu das gesamte parteipolitische Establishment und die Exportwirtschaft hoffen auf einen Stimmungsumschwung für den Fall, daß die entsprechenden Volksabstimmungen in Finnland (16. Oktober) und Schweden (13. November) ein Ja erbringen. Ihre Hauptargumentation: Norwegen könne es sich ökonomisch nicht leisten, als einziges nordisches Land außerhalb der EU zu stehen.

In dieser Strategie sollte der Gewerkschaftsverband eine Schlüsselrolle spielen. Ende Juni hatte sich die über eine EU-Mitgliedschaft ebenfalls gespaltene regierende Arbeiterpartei mehrheitlich für ein Ja entschieden. Jetzt ist die traditionell am gleichen Strang ziehende norwegische Arbeiterbeweung damit seit langem über eine wichtige politische Frage wieder einmal deutlich gespalten. Für die Haltung des Gewerkschaftskongresses spielte nicht nur die Furcht, im Konzert der europäischen Großnationen unterzugehen, eine Rolle. Eine Mehrheit sieht die zentrale Stellung der Gewerkschaften in den nordischen Gesellschaftssystemen grundsätzlich in Frage gestellt.

Bei der der Abstimmung vorausgehenden Debatte ging es um die Bedrohung der durch die in Skandinavien mächtigen Gewerkschaften ausgehandelten kollektiven Abkommen zu Fragen des Arbeitsrechts und des sozialen Sicherheitssystems durch eine EU, die über Gesetze und Direktiven dieses Verhandlungssystem nach und nach völlig aushöhlen werde.

Ökonomische Argumente der Ja-Seite fanden kaum Gehör. Es gibt mehrere seriöse Analysen, die der auf den Ölreichtum aufgebauten norwegischen Wirtschaft keine entscheidenden Konsequenzen vorhersagen, bliebe das Land außerhalb der EU. Reinhard Wolff