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■ ÖkolumneMüll im Ohr Von Thomas Worm

Welches ist der GUU, der Größte Unbekannte Umweltkiller? Lärm. „Wie bitte?“ LÄRRRMM! Das Dröhnen und Tuckern, Knattern und Aufheulen der automobilen Blechlawine bringt statistisch jedes Jahr 2.250 Menschen unter Deutschlands Erde. Allein der Lärm des Straßenverkehrs. Im Vergleich: Auspuffgase schaffen 630 Lungenkrebstote. Doch grollt und brüllt nicht nur die geräderte Karawane. Düsenjets kratzen über Himmelsflächen, Preßlufthämmer zerstampfen den Tag, und bei Rund-um-die-Uhr-Produktionen erstirbt das Wummern der Maschinen nie. Flugzeuglärm, Arbeitslärm, Lautsprecherlärm: Tausende von weiteren Toten, die niemand kennt, die keiner mehr hört.

Die urbane Gesellschaft führt den totalen Krieg gegen die Stille. Jene 2.250 zu Tode Beschallten, auf die demnächst Lärmexperte Hermann Neus im Bundesgesundheitsblatt verweist, gehören zu den wenigen bezifferbaren Opfern. Das Heer aller durchs Ohr Geschädigten ist unüberschaubar. Mindestens sechs Millionen leiden hierzulande am Innenohrklingeln, dem sogenannten Tinnitus, der in einem von vier Fällen durch starken Lärm verursacht wird. Die übrigen Tinnitus- Erkrankungen entstehen insbesondere durch Streß – zu dessen Auslösern wiederum Lärm ge,hört‘.

Was aber eigentlich ist Lärm? Murray Schafer hat ihn in seiner „Kulturgeschichte des Hörens“ als „unerwünschten Laut“ bezeichnet. Es kommt also nicht vorrangig auf die Lautstärke an, gemessen in den Schalldruckeinheiten Dezibel, sondern auf das persönliche Empfinden. Was als lästiger Geräuschpegel wahrgenommen wird, kann von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich sein. Die subjektive Einstellung zum Krach ist entscheidend, das zeigen auch physiologische Studien. Ein zufriedener Brummifahrer mag auch bei 80 Dezibel Dauervibration keine Schäden davontragen, während das stete Summen einer luftgekühlten Festplatte (40 Dezibel) sensiblen Gegnern der Bildschirmarbeit womöglich höheren Blutdruck beschert.

Der subtilste Angriff aufs Ohr erfolgt durch beiläufige Töne. Das akustische Püree der Fahrstuhlmusik, der Klassiker-Aufguß bei Telefonwarteschleifen, die kaufstimulierenden Melodien in Supermärkten – alles muß das Ohr schlucken. Nach und nach werden sämtliche Nischen der Ruhe erobert. Überall verunreinigt Megahit-Jingle-Geplärre die Luft.

Längst sind die Zeiten vorüber, da man sich durch zugewandtes Hinhören, durch eine positive Haltung vor dem anschwellenden Getöse schützen konnte. Die allgemeine Lautüberflutung wächst rasant ins objektiv Schädliche. Das Lalülala einer vorbeirauschenden Feuerwehr besitzt heute nahezu die Lautstärke eines startenden Jumbos, noch vor zwanzig Jahren war die Sirene nur halb so laut. Signaltöne sind der Gradmesser für den Lärmpegel der Umwelt, denn sie müssen sich vom üblichen Geräuschhintergrund abheben. Demnach hat sich das Scheppern, Scharren, Hämmern und Hupen in den Städten binnen zweier Jahrzehnte an Intensität verdoppelt.

Dieser schrillende Feldzug führt hinein in die Ohrmuschel durch Trommelfell, Mittelohr, Schnecke und Innenohr. Mitten ins Herz. Streßklänge sorgen für Adrenalinschübe, ziehen die Gefäße zusammen und steigern den Blutdruck. Mehrere tausend Herzinfarkte pro Jahr löst schon der Autokrach für sich genommen aus. Lärm ist inzwischen – medizinisch belegt – eine der Hauptursachen von Herz-Kreislauf-Beschwerden, der Volkskrankheit Nummer eins.

Doch weit entfernt ist das Land von einem Zustand, wo lärmfreie Zonen so selbstverständlich sind wie Nichtraucherabteile. Obwohl das Sterberisiko von Lärmgeschädigten ähnlich hoch ist wie das von Passivrauchern. Lärm läßt sich nur schwer als eindeutige Krankheits- oder Todesursache nachweisen; meist sind noch Tabak, Alkohol oder fette Speisen mit im Spiel. Deshalb werden Gerichtsklagen wegen akustischer Körperverletzung auf sich warten lassen. Das Ohr – weiterhin ein Verschleißorgan.

Erst langsam beginnt die ohrenfreundliche Gemeinschaft, sich umzuhorchen. Klangökologen loten die Topographie städtischer Laute aus, Akustikdesigner experimentieren mit neuen Tonlandschaften. Das tobende Schalluniversum soll nicht länger innere Leere übertönen. Die letzte Macht, sagt deshalb Murray Schafer, heißt Stille. „Wie bitte?“ STILLLEE!

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