piwik no script img

Der Knaller hält Wort

Berlusconis Regierung lockert Jagd- und Fischverbote / Streit zwischen Bauern und Jägern / Tödliche Folgen einer männlichen Leidenschaft  ■ Aus Rom Werner Raith

Das Wahlversprechen gehörte zu jener Sorte, die man in keinem Programm findet – und die doch nahezu einklagbares Gut sind: Nirgendwo hat Silvio Berlusconi gesagt, er werde die in Italien seit Jahren durch die Umweltschützer durchgesetzten rigiden Jagd- und Fischverbote aufheben – und doch „wußte jeder“, so Anna Donati, Dezernentin für die Lebensqualität in Bologna, „daß das eines der ersten Dekrete der neuen Administration“ sein werde. Tatsächlich hat der von der neofaschistischen Nationalen Allianz gestellte Umweltminister Matteoli rechtzeitig zum offiziellen Jagdbeginn Mitte September eine „Aktualisierung der geltenden Vorschriften“ bekanntgegeben, die den Schuß freigibt auf so ziemlich alles, was da kreucht und fleucht. Nicht nur, daß Mateoli mehr als drei Dutzend bisher absolut geschützter Vogelarten aus dem Katalog herausgenommen – darunter Schnepfen und Wachteln – und die tierquälende Froschangelei in weiten Bezirken wieder genehmigt hat: auch in Naturschutzparks und auf allen uneingezäunten Äckern und Feldern darf scharf geschossen werden selbst dann, wenn die Eigner Tafeln mit „Jagdverbot“ aufgestellt haben. Ein „Sieg der Großbürger und der frustrierten Ehemänner, die sich abreagieren müssen“, vermutet die Umweltschutzorganisation „Lega per l'ambiente“.

Der Erfolg ist verheerend. Nicht nur, daß die Schrotversender neben den nun wieder freigegebenen Vögeln auch Störche, Reiher und Eulen abknallen – angeblich weil sie „sich erst umstellen müssen und die Tiere verwechselt“ haben –, neu entbrannt ist auch der alte Kampf zwischen Bauern und Jägern, der während jeder Schußzeit zu erheblichen Spannungen führt: Unbeeindruckt vom offenkundig frisch Gesäten stapfen die Waidmänner mit ihren Hunden über Getreidefelder und Saatkulturen, sinken nach Regen knöcheltief ein und hinterlassen entsprechende Kahlstellen im Feld. Seit Abweistafeln nicht mehr helfen, trifft auch wieder der gutgezielte Schuß eines verärgerten Landwirts den Jägerhintern, auch Eisenstangen, die aus dem Gebüsch geschlagen auf dem Schädel landen, gehören zu den Risiken der Wilderei.

Auf umgerechnet mehr als 30 Millionen Mark Schaden schätzt die Umweltorganisation WWF alleine den Flurschaden, den die Ballermänner alljährlich in Wald und Flur anrichten – ohne auch nur eine Andeutung hegenden Vorteils zubringen. Schon voriges Jahr vermeldeten Polizeistellen mehr als siebenhundert bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Jägern und Bauern.

Denn Italiens Jäger sind „zum großen Teil offenkundig mehr oder minder Analpabeten“, hat Il manifesto in einer ersten Bilanz der neuen Saison erkannt. Eine Umfrage des staatlichen Rundfunks RAI bestätigt den Verdacht: „Die müssen zwar eine Art Prüfung ablegen. Doch von mehr als 300 Jägern, die über die Vorschriften befragt wurden, wußten nicht einmal hundert genau, wie viele Meter von einem Haus, einem Stall, einer Straße entfernt der Jäger stehen muß, daß er nur mit dem Rücken zu bewohnten Gebäuden schießen darf, welche Krankheiten die erlegten Tiere möglicherweise haben können, und nicht einmal zehn wußten, daß das Auslegen vergifteter Köder verboten ist.“

Gerade das aber wird derzeit wieder besonders gerne praktiziert. Seit Berlusconi die Hege aus dem Pflichtprogramm genommen und die reine Sportjagd wieder freigegeben hat, werden gezüchtete Fasane ausgesetzt, die in der Freiheit nicht überleben können. Verängstigt hocken die Tiere im Gebüsch und rühren sich nicht, bis sie, von den Hunden hochgescheucht, den Jägern vors Gewehr flattern.

Nur Füchse sind schlauer und schnappen die Beute zuerst. Um sie daran zu hindern, legt man ihnen Giftbrocken hin. Die Leichen werden angefressen von Jagdhunden, die ihrerseits am Strychnin verenden. Auch sonst sind Opfer zu beklagen: Treibjagden auf Füchse sind Italiener nicht gewohnt, meist kommt es zu unkontrollierter Ballerei, bei der kein Fuchs, aber mancher Jagdgeselle auf der Strecke bleibt. Dreihundert während Treibjagden Verletzte zählten die Jagdverbände voriges Jahr allein in der Toskana.

Die Giftlegerei ist kaum auszurotten. Deswegen beginnt auch Berlusconis Jagdsaison erneut mit jenem Ritual, das die Jagd geradezu zur Skurrilität werden läßt: Radio und lokale Fernsehsender warnen vorm „Verzehr erlegter Tiere“ – sie könnten, ob Hase, Wildschwein oder Vogel, kurz zuvor gerade noch ein Häppchen Strynchnin erwischt haben. Waidmannsheil!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen