Eine federleichte Tragödie

■ Thalia: Premiere von Botho Strauß' „Das Gleichgewicht“

Wer dieser Tage über Botho Strauß spricht, wird sich weniger von der Hamburger Premiere seines neuen Stückes Das Gleichgewicht dazu veranlaßt sehen, als durch einen Rücktritt und ein Manifest. Ulrich Greiner, bis dato Feuilleton-Chef der Zeit, verabschiedete sich mit einer merkwürdig unsouveränen und weinerlichen Selbstbespiegelung von diesem Posten, in der er die Verisse von Strauß' neuem Werk Wohnen Dämmern Lügen, und zwar inklusive dem seiner Redaktionskollegin Iris Radisch, zum Anlaß nahm, eine Verrohung der feuilletonistischen Debatte und eine Palastrevolution sogenannter Neunundachtziger gegen die Achtundsechziger zu erklären. Kann man dies noch als Weihrauch-Komödie aus der Stutzerwerkstatt der Literaturkritik belächeln, so stellt sich Strauß' zentrale Beteiligung an einem vom Ullstein-Verlag herausgegebenen Manifest der neuen Rechten, Die selbstbewußte Nation, schon ganz anders dar. Hier gibt Strauß sein Essay vom Anschwellenden Bocksgesang als Seele einer Textsammlung rechter Feuerteufel wie Rainer Zitelmann und vor allem Ernst Nolte her und stellt sich damit endgültig sinnstiftend in die Reihe nationalistischer Zündler.

Davon ist in Gleichgewicht natürlich nichts zu spüren. Hier zeigt sich Strauß wieder als der präzise Beobachter und distanzierte Begleiter der deutschen Wirklichkeit, der in seinen Texten wortschön Glück und Krieg aneinander zerreibt. So hält er zwischen politischer und Theater-Bühne noch seine eigene Balance, die ihn vor dem Absturz in die rhetorische Schlangengrube bewahrt. Zumindest in den Augen jener Gäste, welche sich für die gekünstelten Leidensprobleme einer reichen, müßiggängerischen Oberschicht interessieren, derenm Mitglieder so wenig reale Probleme kennen, daß sie sich ihr Unglück raffiniert konstruieren müssen.

Denn die Hauptfiguren in Gleichgewicht sind ein liberaler Ökonom und seine Frau, die sich für ein Jahr trennen, um ihr Verlangen neu zu ordnen. Nach der Rücckehr des Mannes (Christoph Bantzer) aus Australien gesellt sich zu seinen Eigenschaften „reich“, „liberal“ und „eitel“ auch noch die Selbstvergessenheit in Form blasierter asiatischer Askese hinzu, während seine Frau (Hildegard Schmahl) die Neige des verlorenen Stolzes hinuntergerauscht ist. Als Randerscheinungen bilden die alltäglichen Folgen der Wiedervereinigung eine Metapher für das verlorene Gleichgewicht der Akteure.

Niels-Peter Rudolph inszeniert diese eher langweilige Geschichte um großbürgerliche Lebenslügen und Leidenschaften in einer kühl-stilisierten Bühne von Rolf Glittenberg als federleichte Tragödie, ohne die komödiantischen Trümpfe des Stückes weidlich auszureizen. Gleichgewicht eben! Dadurch werden die Figuren nicht zu wirklich, die Kritik nicht zu plastisch und die Kunstluft ließ sich richtig tief bis in die letzte Reihe durchatmen. Man muß wahrscheinlich Greiner heißen, um hier Großes zu entdecken. Till Briegleb