Kurzzeitige Irrung oder Programm?

■ Enttäuschende Saisoneröffnung auf Kampnagel: Grausige Hausproduktion, sicheres Gastspiel und grotesker Epilog

Bleckend Weiß

Es mußte einem schon Böses schwanen, als Armin Kerber, der für die Kampnagel-Eröffnungs-Produktion Bleckend Weiß verantwortliche Dramaturg, auf der letzten Pressekonferenz zu dem Stück erklärte: Man wolle keine „Geschichtsrevue“ veranstalten, sondern habe sich dazu entschlossen, Produktionsdokumente aus der Kampnagelgeschichte zu vertonen. Die „Geschichtsrevue“, ein Seitenhieb gegen den vorherigen Kampnagel-Dramaturgen Michael Batz, der in mehrjähriger Recherchearbeit die durch zwei Jahrhunderte reichende Geschichte der ehemaligen metallverarbeitenden Fabrik aufgearbeitet hatte und daraus ein politisch-historisches Theaterwerk entwickeln wollte, wäre nach Ansicht des Resultates am Freitag abend mit Sicherheit die bessere Lösung gewesen. Denn was Kerber gemeinsam mit dem Münchner Musiktheater-Regisseur Helmut Danninger und ohne die Beteiligung von Michael Batz aus dem Material gezimmert hat, verschenkt nicht nur das Thema kläglich, sondern ist ein banales, aufgeblasenes Ärgernis.

Acht weibliche „Figuren“, ausstaffiert wie Automatenmenschen des Barock, zappeln, singen und ulken sich durch zwei quälende Stunden und über zwanzig Einzelszenen, deren innerer Zusammenhang an Beliebigkeit nicht zu überbieten ist. Hier ein bißchen aus Camapnellas „Sonnenstaat“, dort ein Portiönchen Marinetti (wie originell), als Ausgleich was von Paul Zech und dazwischen viel des angedrohten, textlich völlig uninteressanten Materials aus Bedienungsanleitungen, welches in Silben zerhackt oder sonstwie verfremdet von den bedauernswerten acht Schauspielerinnen mit all der ihnen möglichen Überzeugungskraft wie Sauerbier angeboten wird. Denn die inzenatorische Zwangsjacke Danningers instrumentalisiert die Akteurinnen zu leblosen Nummerngirls, deren individuelle Qualitäten nicht erwünscht sind. Da Danninger aber weder das gestische Theater beherrscht noch eine Choreografie entwickeln kann, die diese Ent-Persönlichung rechtfertigen würde, entsteht, und das muß einfach so deutlich gesagt werden, purer Schwachsinn. Das verhängte Farbverbot (grau, weiß und taubenblau only) illustriert diese freudlose Langeweile genau. Da hilft auch die oft ergreifende Musik von Ernst Bechert, energisch interpretiert vom String Thing, nicht weiter, weil durch die Verhinderung eines Spannungsbogens auch die Musik dem ermüdenden Stop-and-Go unterliegt.

Was an dieser Produktion aber wirklich erschreckt, ist die Programmatik, die ihr als Eröffnungsproduktion für die kommenden Jahre der Res-Bosshart-Intendanz innewohnt. Dröges L'art pour l'art-Theater, das politische und historische Bezüge nur sinnentleert und veralbert erträgt, und dessen szenischer Höhepunkt kreischende Weiber im Angesicht eines Gewitters sind, die sich auf Holz-Scootern über die Bühne rollen – wenn das die Zukunft auf Kampnagel werden sollte, dann „Schönen Feierabend!“. Till Briegleb

Wooster Group - Brace Up!

Tschechow aus der Tradition Stanislawskis befreien, das sagt sich so leicht. Tatsächlich aber hat dieser Regisseur bei diesem Autor Klauen. Seine atmosphärebetonten Konzepte klammern sich so sehr an die Stücke, daß man längst nicht mehr weiß, ob sie nicht doch – und entgegen Tschechows eigenem Votum – ein Teil von ihnen geworden sind. Nicht nur, daß das Ereignis, das die deutsche Theaterwelt nach '68 und vor Castorf am heftigsten polarisierte, Peter Steins „Drei Schwestern“-Inszenierung aus dem Jahre 1984 war, in dem er Stanislawskis Realismus bis in die echten russischen Bäume hinein wiederherstellte. Auch bei den Versuchen, Tschechow von dem großen russischen Regisseur zu befreien, kann man immer noch sicher sein, daß sein Einfluß – und sei es auch ex negativo – irgendwo um die Ecke lugt.

Das ist selbst bei Brace Up! der Wooster Group so, einem, ja, was denn?, Versuch über, einer Performance um, einem Stück nach Tschechows Drei Schwestern, der, die, das bereits im letzten Jahr auf dem Theater der Welt in München gezeigt wurde und jetzt zur Saisoneröffnung auch auf Kampnagel zu sehen war. Die New Yorker Schauspieltruppe mit dem Ruf, avantgardistisch zu sein, hat wirklich alles getan, das Stück neu zu erzählen. Sie hat Monitore und modernste Videotechnik aufgefahren. Sie erzählt nicht einfach nur das Stück, sondern gleichzeitig auch immer davon, wie eine Schauspieltruppe von dem Stück erzählt. Sie hat die Handlung gebrochen, fragmentarisiert, einzelne Momente aufgeblasen. Und die Spieler gehen keineswegs in ihren Figuren auf.

Und doch und doch und doch: Die bewegendsten Momente waren gerade die, in denen es der Wooster Group gelang, eine gefühlvolle Atmosphäre, zwar oft nur zitierend, aber doch immerhin herzustellen. Brace Up! wird so als Stanislawski-Patchwork mit charmanter Technik-Einlage im Gedächtnis bleiben. Wie das Neue auf das Alte trifft, war aber durchaus interessant anzusehen.

Dirk Knipphals

Ab heute zeigt die Wooster-Group das Anschlußstück zu „Brace Up!“, die „Fish Story“ (K6, 20 Uhr, bis Mittwoch)

Divas - Absurditties/Falling Apart...

Als späte Burleske für Freunde britischer Komik zeigten schließlich Liz Agiss und Naomi Itami wie man mit kleinem Aufwand großen Quatsch treiben kann. Die absurden Verrenkungen und kuriosen Texte von Agiss und die Belcanto-Arien zu maschineller Rockmusik Itamis heilten die Wunden von Bleckend Weiß mit Schmunzeln. Gib dem Sinn keine Chance und zerstreue den Ernst mit Liebesliedern an die Mengenlehre, dann sind dir neue Freunde gewiß. Warum eine kurzweilige Zwei-Frau-Club-Performance allerdings in der selben Preiskategorie verkauft werden muß, wie eine 250.000 Mark teure Musiktheater-Produktion, ist schwer zu verstehen und rächte sich mit spärlichem Publikum.

Till Briegleb