Der Schlachter und die Kuhäugige

■ „Verführt“, ein Erotikstück, hatte im Glashaus des Lagerhaushofs Premiere

Schon das knallrote Plakat ist eine großspurige Versprechung: „Verführt“ will uns erotisches Körpertheater bieten. Klingt ja gut. Nichts wie hin! Der Empfang an der Kasse des Lagerhaushofs weckt dann prompt die schlimmsten Befürchtungen. Wegen des Kälteeinbruchs im nicht beheizbaren Glashaus braucht es Hilfsmittel. Mit der Eintrittskarte gibt's einen Pappbecher mit heißem Grog und eine Wolldecke. Notausrüstung für die Arktisexpedition – oder großzügige Stimulanzien, um auch leiblich diesem Experiment Körpertheater näher zu kommen? Aber kaum ist der steife Grog alle, sinkt jede Hoffnung auf geistliche und seelische Erbauung an diesem Abend rasch dahin. Vielleicht ist die Wolldecke doch dazu gedacht, sie sich über den Kopf zu ziehen, oder sich dahinter zu verstecken. Bloß nicht weiter verführt werden!

Dabei fing alles ganz gut an. Mit „Na kommse mal mit“, im Ruhrpottdialekt, tritt der Fleischereifachgeselle auf uns zu.

Stolz zeigt der Schlachter (Josef Dieken) der neuen Aushilfsverkäuferin und Kunststudentin (Ellen Dorn) seinen Laden. Das Bistro für den eiligen Gast wird uns mit „Man muß ja mit der Zeit gehen“ vorgestellt. Auch die vollautomatische Wurststraße auf der linken Bühnenseite weiß zu fesseln.

Dann bricht das Desaster los. Den beiden Körpern, die die Regisseurin Ute Rauwald in die Manege ihres Sinnlichkeitstheaters schickt, wird ihre Bühnenrealität brutal gestohlen. Der Schlachter ist kein Schlachter mehr, die Studentin keine Studentin. Sie werden philosophisch, müssen eine erotische französische Erzählung, die die Regisseurin zu „Verführt“ angeregt hat, bis zum bitteren Ende dieses gnadenlosen Abends durchstehen. Damit haben sie noch kein Stück, keinen Dialogtext und keine Handlung. Im Raum steht nur die These vom schweißtreibenden Begehren zwischen Mann und Frau. Und der Beweis, daß man vor lauter Sinnlichkeit blöd werden kann. Immer wieder hackt der Schlachter auf den Bühnenholzklotz ein und versucht irgendwie lüstern dreinzuschauen. Während die Aushilfsverkäuferin zusehends hilfloser kokette Blicke wirft.

Doch die behauptete Erotik bleibt grobschlächtig wie das Schachterhandwerk, das berühmte Knistern zerstiebt zwischen gestammelten Satzfetzen und philosophisch überhöhter Sprache. Einmal ist von „Rinderzungen von obszöner Rauheit“ und „Hammelkutteln“ in aufgeladenem Ton die Rede. Das Publikum kichert, doch allein der unmotivierten Aufregung der Protagonisten wegen. Nun wird der Schlachter gar metaphysisch, rezitiert ohne Vorwarnung einen Text über die Sinnlichkeit des Metzgerhandwerks. Das Publikum johlt. Von blutigen Messern, die permanent in irgendwelches Fleisch eindringen, es durchstoßen und Wunden öffnen, ist da die Rede. Dazu leckt er sich wieder und wieder lüstern über die Lippen, streicht seinen Schnauzer und führt, natürlich breitbeinig stehend, großspurige Gesten des Fleischzerhackens aus.

Die Aushilfskraft (Studentin im Fachbereich freie Kunst: „Ich will die Welt verdichten, meine Kunst wird immer minimaler, wahrscheinlich gehe ich bald zu Bildhauerei über“) ist vom Schlachter aus unerfindlichen Gründen dennoch sehr angetan und schmilzt zusehends dahin. Der zu kuhäugigem Schmachten verkommene Blick der Aushilfsverkäuferin geht nicht allein aufs Konto der Schauspielerin. Sie soll fast gänzlich ohne Text und Spielhandlung sinnliches Begehren zum Besten geben, jedoch, achweh, die vergebliche Liebesmüh sinkt in schiere Blödigkeit ab.

Als der geile Schlachter auch noch laut grunzend um die Studentin herumzustreichen beginnt, ist das Publikum nicht mehr zu halten. Die einen brechen an Stellen höchster erotischer Intensität in Heiterkeit aus - andere gehen. Die Kritikerin mußte bleiben, doch auch sie konnte mit dieser neuen Erotik auf dem Theater leider nicht verführt werden. „Verführt“ verzichtet souverän auf Spannungsbögen und eine Dynamik, in der sich gegenseitige Attraktion entwickeln kann, so wirkt das Begehren im Körpertheater wie ein Kavaliersstart im vierten Gang. Susanne Raubold

Heute nochmal 19.15, Schildstr.12