„Keine Katastrophenmedizin“ mehr

■ Ärztin aus Verden war für zwei Wochen in den Flüchtlingslagern bei Goma

„Die pauschale Kritik am Einsatz von Care in Zaire ist nicht berechtigt. Man kann dort sehr wohl wirksam helfen“, sagt Ulrike Marquardt. Die Ärztin aus Verden war mit der zweiten Gruppe deutscher ÄrztInnen und PflegerInnen für zwei Wochen in den Flüchtlingslagern um Goma. Erlebt hat sie Menschen in Krankheit, Angst und Elend, Pannen und Probleme bei der Organisation – aber auch HelferInnen, die sich abrackerten und erfolgreich waren: Sie haben ein Gesundheitssystem aufgebaut, das für Verhältnisse eines afrikanischen Flüchtlingslagers gut funktioniert. Entgegen der Pressemeldungen, so die Ärztin, herrscht in Goma nicht mehr das große Chaos: „Die Zeit der Katastrophenmedizin ist vorbei.“

Die Ärztin arbeitete im Flüchtlingslagern Mugunga und in einem Krankenhaus in Kibumba. „Nach einem Tag hat man sich eingewöhnt. Es ist ja hauptsächlich Basismedizin zu leisten, keine hochkomplizierten Operationen.“ Am häufigsten mußten die ÄrztInnen bei den Flüchtlingen den Flüssigkeitsverlust ausgleichen, der durch Durchfallerkrankungen entstanden war. Doch in den Lagern stößt die Medizin auch an ihre Grenzen, erzählt Ulrike Marquardt. So seien Kinder erfolgreich gegen die Krätze behandelt worden – aber nur, um dann wieder in ihre einzigen, von den Krankheitserregern verseuchten Kleider zu steigen und einige Tage später wieder unter dem Ausschlag zu leiden. Auch die allgemeine Unterernährung, der Mangel an Trink- und Waschwasser machen die Menschen für Krankheiten anfällig. Doch im Vergleich zur bettelarmen zairischen Bevölkerung rund um die Lager gehe es den Flüchtlingen etwas besser: „In den Lagern haben wir inzwischen einen medizinischen Standard, wie er auf einem abgelegenen Dorf in Zaire nicht erreicht wird.“

Am Beginn der Aktion lief vieles schief: Care Deutschland lieferte statt Medikamenten gegen die Durchfallkrankheit Ruhr zunächst 1,3 Tonnen Hustensaft; die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR stiftete mit einem fehlenden Gutachten über die Art der Ruhr-Erkrankung und ihrer Behandlung Unsicherheit bei den MedizinerInnen. Die Ungewißheit der politischen Lage verschärft die Situation: „UNHCR hat an die Menschen nur blaue Plastikplanen ausgeteilt, damit in Goma keine richtigen Hütten entstehen und sich die Lager festigen. Doch jetzt in der Regenzeit schlafen die Leute in Pfützen und bekommen natürlich Lungenerkrankungen. Niemand will langjährige Flüchtlingslager wie in Palästina, aber bei der Angst, die die Menschen haben, wird man sie mit Gewalt nach Ruanda zurücktreiben müssen.“

Angst und Aggression unter den tausenden von Flüchtlingen hat Ulrike Marquardt immer wieder erlebt. „Zu uns waren die Menschen sehr freundlich, aber untereinander endet ein Streit bei der Essensausgabe schnell tödlich.“ Einigen wenigen KollegInnen bescheinigt die Ärztin destruktive Kritik an der Aktion oder die Mißachtung von Sicherheitsbestimmungen. „Manche, die die Aktion stark kritisieren, haben wohl gedacht, sie würden von morgens bis abends nur Leben retten. Aber in Afrika muß man flexibel sein und auch mal einen Lkw abladen helfen.“ Ansonsten aber ist Ulrike Marquardt voller Lob für die HelferInnen: ÄrztInnen, PflegerInnen und MedizinstudentInnen hätten mit viel Teamgeist und sehr effektiv zusammengearbeitet.

Vehement verteidigt die Ärztin Sinn und Organisation des deutschen Care-Einsatzes: „Wir haben gut mit anderen Hilfsorganisationen zusammengearbeitet. Inzwischen gibt es einen festen Organisationsstab in Goma, es gibt Mediziner, die sich für drei Monate verpflichtet haben, um die neuen Helfer einzuweisen.“ Den ebenfalls kritisierten 14tägigen Rhythmus hält Marquardt für sinnvoll: „Menschen mit einer festen Arbeit und Familie können sich dafür 14 Tage frei nehmen, länger nicht. Zwei Wochen kann man auch alles aushalten, von einfacher Unterbringung bis zur Bundeswehrverpflegung. Und die Care-Helfer arbeiten in den zwei Wochen von morgens bis abends. In puncto Motivation sind die Mediziner von Care Deutschland nicht zu schlagen.“

Marquardts persönliche Motivation? „Es war eine Möglichkeit, konkret in der Dritten Welt zu helfen. Man trägt mehr Verantwortung und ist viel näher am Patienten als hier bei uns. Man lernt, daß Menschen unter völlig anderen Lebensbedingungen existieren.“ Ein Viertel der HelferInnen aus der zweiten Gruppe wollen wieder zurück. Ulrike Marquardt gehört dazu: Im November fliegt sie wieder nach Zaire. Bernhard Bernhard Pötter/Christoph Wirth