Neue Rechte
: Mail-Boxen und Nazis

■ SPD-Kongreß zum Rechtsradikalismus

Die Vernetzung der rechtsextremen Szene nimmt konkretere Formen an. Um dem Fahndungsdruck zu entgehen, greifen Neonazis verstärkt auf modernste Mittel der Telekommunikation zurück, erklärte am Samstag der Berliner Verfassungsschutzchef Heinz Annußek auf einer SPD-Veranstaltung zum Thema „Rechtsradikalismus und Neue Rechte“ im Abgeordnetenhaus. Aus dem Verbot mehrerer Neonaziorganisationen Ende 1992 habe die Szene gelernt. Statt neue Organisationen zu gründen, halte man sich über Mail-Boxen und Infotelefone „aktionsfähig“. Um Aufmärschen wirkungsvoller begegnen zu können, forderte Annußek eine Gesetzesinitiative, mit der bereits die „Planung und Durchführung von NS-Aktivitäten als solche“ verboten und unter Strafe gestellt werden sollten.

Sowohl regional als auch international versuchen die Kader ihre Informationsübermittlung auf modernste Mittel umzustellen. Seit Juni dieses Jahres existiert in Berlin zwar ein Infotelefon, aber noch keine Mailbox. Nach Erkenntnissen der Journalistin Franziska Hundseder ist dabei das seit rund anderthalb Jahren bestehende „Thule“- Netzwerk aktiv. Dessen Mail- Box-System erstrecke sich über mehrere westdeutsche Städte, darunter München, Frankfurt, Stuttgart, Erlangen und Kassel. Derzeit werde an einer Vernetzung mit „Thule“ in London, Wien und Brüssel gearbeitet. Nach einer von der Neonazis selbst publizierten Umfrage, so die Journalistin, seien 41 Prozent der Nutzer zwischen 18 und 25 Jahre alt, weitere 47 Prozent zwischen 26 und 45. Die äußerst komplizierten Verschlüsselungssysteme seien für die Sicherheitsbehörden „praktisch nicht zu durchdringen“.

Für Hundseder ist in der rechtsextremen Szene seit einiger Zeit ein „deutlicher Radikalisierungsprozeß“ festzustellen. Zu ihrer Überraschung gebe es dabei immer weniger Berührungsängste zwischen der akademischen Rechten und dem harten Kern der Neonazis. So gebe es über das „Deutsche Rechtsbüro“ bei München über Mail-Box eine „Rechtsberatung für den braunen Alltag“, erklärte Hundseder. Neonazis könnten in Minutenschnelle Fragen klären: „Bei welchen Kennzeichen mache ich mich strafbar, worauf muß ich achten, wenn über die Vernichtung der Juden geredet wird.“ Auf dem eintägigen Kongreß, der rund 100 Besucher anzog, rief die FU-Professorin Gesine Schwan dazu auf, sich mit der Ideologie der Neuen Rechten intensiver auseinanderzusetzen. Das antidemokratische Denken habe in Deutschland eine lange historische Tradition. Severin Weiland