Ein Haus voller Chefinnen

Frauengewerbezentrum „WeiberWirtschaft“ eröffnet / Das „größte und teuerste Frauenprojekt Europas“ will 200 Arbeitsplätze schaffen  ■ Von Sabine am Orde

Offiziell ist das Vorderhaus noch eine Baustelle. „Betreten auf eigene Gefahr“ warnt das gelbe Schild an der Eingangstür. Doch auch der Dreck im Treppenhaus und das rot-weiße Band, das noch die erste und zweite Etage absperrt, können den Erfolg nicht schmälern: Seit Samstag ist das Vorderhaus des Frauengewerbezentrums WeiberWirtschaft im Bezirk Mitte eröffnet.

„Leider sind die Bauarbeiten nicht so weit wie gedacht“, sagt Monika Damm, die Frau für Öffentlichkeitsarbeit, „aber im Laufe des Oktobers legen die Unternehmerinnen los.“ Statt mit Waren und Dienstleistungen waren diese am Samstag – außer mit Sekt und Keksen – also nur mit Infozetteln, Visitenkarten und einigen Mustern zur Stelle und gaben einen Eindruck davon, was kommen wird: eine Frauencomputerschule und ein ebensolches Fitneßstudio, ein Café, ein Schuh- und Wäscheladen, eine internationale Mitwohnzentrale und ein Reisebüro werden in zwei Wochen ihre Pforten öffnen. Auch Versicherungsmaklerinnen und Innenarchitektinnen, Organisationsberaterinnen und Rechtsanwältinnen nehmen dann hier die Arbeit auf. Zwei Drittel des Vorderhauses sind bereits vermietet, 600 weitere Quadratmeter für durchschnittlich 25 Mark noch zu vergeben.

Mit ihrem Einzug wird die erste der drei Baustufen abgeschlossen sein, die die 5.500 Quadratmeter große Fabrik, die Ende letzten Jahrhunderts erbaut wurde, bis Herbst 95 in das größte Gründerinnenzentrum Europas verwandeln soll. Doch für die dritte Bauphase, zu der auch ein Neubau mit 13 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau gehört, fehlt es noch an Eigenkapital. Zwar sind der 1989 gegründeten Genossenschaft WeiberWirtschaft, der ersten reinen Frauengenossenschaft in Deutschland seit der Weimarer Republik, inzwischen 783 Frauen beigetreten und haben ein Eigenkapital von gut 500.000 Mark zusammengebracht – doch das reicht nicht aus. „Eine Million müssen wir in diesem Jahr packen“, sagt Vorstandsfrau Claudia Neusüß. Der Rest der Finanzierung steht: Knapp die Hälfte des Gesamtvolumens von 34 Millionen stammt von einer Bank, die einen langfristigen Kredit gewährte, und auch der Berliner Senat, der das Projekt seit 1991 fördert, schießt mehrere Millionen dazu. So wurde – nach zahlreichen Anläufen – der Kauf der alten Backsteinfabrik möglich: Für 12,3 Millionen Mark erstand die WeiberWirtschaft das Gebäude vor zwei Jahren von der Treuhand.

Insgesamt sollen sich in der alten Fabrik, in der zu DDR-Zeiten der VEB Berlin-Kosmetik Lippenstifte und Wimperntusche herstellte, 50 neue und alte Unternehmerinnen mit einer Mischung aus Produktion, Verkauf und Dienstleistungen niederlassen und etwa 200 Frauenarbeitsplätze schaffen. Ein Teil des „größten und teuersten Frauenprojektes in Europa“ soll für soziale und künstlerische Zwecke reserviert sein, ein Restaurant ist geplant, eine Kita, Ateliers für Künstlerinnen und auch Veranstaltungs- und Seminarräume. „Das wichtigste ist, die Isolation der einzelnen Unternehmerinnen aufzuheben. Sie sollen schnell professionellen Rat bekommen können, aber sich auch einfach austauschen können mit Frauen in einer ähnlichen Situation“, sagt WeiberWirtschafts- Frau Monika Damm. Neben der günstigen Miete ist es diese Infrastruktur, die Unternehmerinnen in die WeiberWirtschaft zieht. Für Angela Entrich, die einen Strumpf- und Wäscheladen eröffnen wird, bietet die WeiberWirtschaft für Jungunternehmerinnen deshalb den „optimalen Rahmen“. Versicherungsmaklerin Inge Schassberger von „Fair Ladies“ hofft außerdem auf gegenseitige Umsatzsteigerung: „Ich kaufe bei den anderen ein, und die besorgen sich bei uns ihre Versicherungen. Außerdem ziehen wir als Gesamtprojekt mehr Leute an.“

Dogmatisch sind die „WirtschaftsWeiber“ bei all dem nicht: „Männer dürfen auch mal einen Arbeitsplatz haben, aber nur in beschränktem Umfang“, erläutert Vorstandsfrau Neusüß. Der Betrieb jedoch muß einer Frau gehören und auch die Geschäftsführung in Frauenhand liegen. Außerdem muß das Unternehmenskonzept einer Prüfung standhalten, bevor das Vergabegremium der Genossenschaft letztlich entscheidet. Als KundInnen jedoch umwirbt die WeiberWirtschaft auch das männliche Geschlecht: „Es soll jetzt in Berlin einen Ort geben, der Frauen Raum gibt, aber auch Männern den Hof macht“ – so ihr neuester Werbeslogan.

Für 200 Mark kann frau Genossin bei der WeiberWirtschaft werden. WeiberWirtschaft, Anklamer Straße 38, 10115 Berlin, Tel./Fax 030/282 11 80