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■ Im Zeitalter des Lufthansa-Theaters verschwinden Stücke nach ihrer Uraufführung oft wieder in der Versenkung

Die Spielpläne deutschsprachiger Bühnen werden sich immer ähnlicher. Coline Serreaus „Hase Hase“ hoppelte in der letzten Spielzeit über fast jede Bühne und besetzte dort, im Wechsel mit David Mamets „Oleanna“, eine der beiden Spielplanstellen für zeitgenössische Stücke. Das heißt nicht, daß es sonst keine spielbaren neuen Bühnenstücke gäbe. Im Gegenteil: Es sind fast zu viele. Etliche werden auch einmal inszeniert, dabei bleibt es dann aber meist.

Jürgen Bansemer vom Kölner Nyssen & Bansemer Theaterverlag, der eine der ersten Adressen für junge Autoren ist, meint, zwei Drittel aller uraufgeführten Stücke würden nicht nachgespielt. Dafür verantwortlich sei ein Teufelskreis: „Die Spielpläne werden zu 80 Prozent von Klassikern und modernen Klassikern bestimmt. Für das verbleibende schmale Marktsegment besteht ein immenses Überangebot, das viele Theater lediglich mit Uraufführungen bestücken, denn ansonsten reist die überregionale Presse nicht an.“

Mit Uraufführungen können die Theater sich schmücken, Zweit- oder Drittaufführungen sind kaum von überregionalem Interesse. Soll man es Intendanten und Schauspielchefs also übelnehmen, wenn sie in Uraufführungseuphorie geraten, um ihrem Kulturdezernenten am Ende der Spielzeit bündelweise Kritiken präsentieren zu können? Klappern gehört zum Handwerk.

Seit einiger Zeit wird vor allem an kleineren Bühnen (im Süden zum Beispiel in Heilbronn und Tübingen) eine wahre Springflut neuer Dramatik auf die Bühne gebracht. Die Inszenierungen sind allerdings häufig so beschaffen, daß sie zum Nachspielen kaum verführen: Tod durch Uraufführung.

Mit deutschen Erstaufführungen verhält es sich anders. Corinna Brocher vom Rowohlt Theater Verlag in Reinbek sagt: „Wenn das Stück im Ursprungsland ein Renner ist, haben mehrere Thater das Stück bereits gebucht, bevor die deutschen Zeitungen auch nur eine Zeile geschrieben haben. Im Falle von Uraufführungen dagegen warten die Theater zuerst einmal ab. Geht etwas schief, ist die Hürde für die Zweitaufführung sehr hoch.“

Verleger können in einem solchen Fall kaum noch reagieren, selbst wenn sie den verantwortlichen Regisseur vor versammeltem Publikum ohrfeigen (was Christoph Nel nach einer Uraufführung widerfuhr). Unterscheiden Kritiker nach einer verpatzten Uraufführung nicht ausreichend zwischen dem Stück und seiner Inszenierung, kann das schon sein Ende bedeuten.

Bernd Schmidt, Lektor des Branchenriesen, der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, berichtet in diesem Zusammenhang von Judith Herzbergs Stück „Leas Hochzeit“, das vor zehn Jahren unter dem Titel „Schadenfreude“ in Wuppertal uraufgeführt wurde: „Die Uraufführung muß verheerend gewesen sein, wir konnten das Stück erst vor zwei Jahren in einer guten zweiten Inszenierung unterbringen. Verwunderlich ist für mich, daß damals lediglich Georg Hensel schrieb, es dürfe doch nicht bei dem Wuppertaler Flachrelief bleiben.“

Verleger, die einem Stück nach einer schlechten Uraufführung eine zweite Chance verschaffen wollen, sehen sich einem behäbigen Apparat gegenüber. Selbst wenn die Dramaturginnen und Dramaturgen von einem Stück überzeugt sind, liegen die Spielpläne fest. Zudem wechseln ja auch sie heutzutage in immer schnellerem Rhythmus die Theater, können immer weniger inhaltlich arbeiten und geraten immer mehr in die Rolle eines Vermittlers zwischen Theaterapparat und Regietouristen.

Die Zahl der fest an ein Haus gebundenen Regisseure nimmt ja ständig ab. Die sichere Basis des Ensembletheaters, die das risikoreiche Geschäft mit neuen oder experimentierenden Stücken abfedert, kann dadurch immer seltener entstehen. Zwar haben die Starpiloten des Lufthansatheaters die Ensembles ihrer Stammhäuser im Kopf, die Verknüpfung einzelner Schauspieler mit Figuren in neuen Stücken ist allerdings erst dann kein zu großes Wagnis mehr, wenn kontinuierlich mit einem Ensemble gearbeitet wird.

Jürgen Bansemer meint, aufgrund der Sparwelle zeichne sich auch hier eine Trendwende ab und die Intendanten kehren wieder zum „geordneten“ Haus zurück. Reisende Regisseure mit ihren Bühnenbildnern im Gepäck sind teuer. Ob sich in naher Zukunft allerdings daran etwas ändern wird, daß die nicht mehr ganz so jungen Wilden des deutschen Regietheaters neue Stücke weitgehend ignorieren, ist fraglich. Daß die Demontage von Klassikern zum Markenzeichen geworden ist, macht die Sache für neue Stücke auch nicht einfacher. Im Falle von lebenden Autoren gelten ja zudem besonders rigide urheberrechtliche Bestimmungen. Auch aufstrebende Jungstars setzen, bis auf wenige Ausnahmen, auf Nummer sicher. Hans Ulrich Becker etwa hält sich eher zurück; wie Leander Haußmann setzt er sich mit einem zeitgenössischen Stück allenfalls als Freundschaftsdienst auseinander.

Haußmann brachte in der letzten Spielzeit „In den Augen eines Fremden“ seines Schauspielers Wolfgang Maria Bauer zur Uraufführung. Hans Ulrich Becker „Foraminifere“ seines Bühnenbildners Alexander Müller-Elmau.

Besondes schwierig wird das Geschäft der Stückekuppelei, wenn Autoren, Dramaturgen und Regisseure an einen Tisch zu bekommen sind wie bei hermetischen Texten etwa von Elfriede Jelinek oder Rainald Goetz. Nicht jeder Regisseur kommt für jedes Stück in Betracht, wie Wilfried Schulz meint, der die rechte Hand von Frank Baumbauer und mitverantwortlich dafür, daß das Hamburger Schauspielhaus aus seinem Dornröschenschlaf erwachte.

„Solche Texte kann man nicht, wie das in vielen Fällen passiert, einfach einem jungen Regisseur überlassen und zu ihm sagen: Du bekommst eine Inszenierung, jetzt mach mal! Das können nur Regisseure machen, die einen Impuls für diese Texte haben.“ Ähnliches dürfte auch für starke Theatermonolge wie Rainald Goetz' „Katarakt“, Klaus Pohls „Selbstmord in Paris“ und Joshua Sobols „Auge in Auge“ gelten. Zwar erhalten manchmal auch unerfahrene Regisseure die Chance, intensiv mit einem Schauspieler zu arbeiten, das Problem sind dann oft jedoch die Schauspieler, die solch einen monologischen Abend tragen können.

Sich weder blindlings in einen Uraufführungsrummel zu stürzen noch einen biederen Nullachtfünfzehn-Spielplan abzufahren, gelingt zur Zeit nicht vielen Theatern. Das Hamburger Schauspielhaus ist diesbezüglich beispielhaft: Mit Elfriede Jelineks „Wolken. Heim“, Herbert Achternbuschs „Der Stiefel und sein Socken“ und Rainer Goetz' „Festung“ standen drei beeindruckende Nachfolgeinszenierungen auf dem Spielplan, wobei gerade Jossi Wielers szenische Komposition von „Wolken. Heim“ eine Paradebeispiel dafür ist, wie wichtig eine solche Nachfolgeinszenierung für ein Stück sein kann.

Elfriede Jelinek hat sich inzwischen auch auf dem Theater durchgesetzt. Was aus Autoren wie Dea Loher, Oliver Reese und Oliver Bukowski wird, steht in den Sternen. Möglicherweise bleiben ihre Stücke nach erstem Jubel unverdientermaßen genauso auf der Strecke wie Ria Endres' „Acht Wachtmeister“ (Uraufführung in Darmstadt); Thomas Hürlimanns „Der letzte Gast“ (Uraufführung in Zürich), Lars Noréns „Rachearie“ (Erstaufführung in Darmstadt), Wendy Wassersteins „Heidis Geschichte“ (Erstaufführung in Stuttgart), Gerlind Reinshagens „Die fremde Tochter“ (Uraufführung in Basel) oder Tom Stoppards „Akardien“ (Erstaufführung in Zürich). Jürgen Berger