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■ Prozeßeröffnung gegen O.J. SimpsonPrime Time Justice

Seit den Blütezeiten der frontier-Literatur, so scheint es, sucht Amerika sich selbst nach übriggebliebenen Schönen Wilden ab; was dem Lederstrumpf sein Chingachkook, dem Tom Sawyer sein Indianer Joe und der Scarlett ihre Mamie, ist plötzlich, hast du nicht gesehen, der Serial Killer geworden. Nicht umsonst bekam der Frauenhäuter im „Schweigen der Lämmer“ von den Cops, die ihn jagten, den Spitznamen Buffalo Bill. Der Football-Star O.J. Simpson, gegen den heute der Prozeß wegen des Mordes an seiner Ex-Frau und deren Freund eröffnet wird, war selbst einst Spieler bei den Buffalo Bills und den San Francisco-49ers – beides Namen, die in Gründungsmythen leuchten. Die Nation will seine Unschuld, wie sie ihre eigene will.

Derweilen stoßen die medialen Begleiteskapaden hier auf denselben Unmut wie damals die ersten Erzeugnisse der Pop-art: Den Spiegel graust es vor dem unaufhaltsamen Aufstieg des „white trash“, in den O.J. Simpson, ein nicht unkompliziertes, schwarz- weißes Sportikon umstandslos einsortiert wird – neben Penis-Schneiderin Bobitt, der dicken Roseanne oder dem Massenmörder Jeffrey Dahmer. Die Zeit dagegen beschwert sich, der Fall eines „durchschnittlichen John Doe“ interessiere nicht. (Wir dagegen fordern: Zusammenlegung jetzt! Lorena Bobitt in Isolationshaft mit O.J. Simpson!)

Der eigentliche Ursprung dieses Unbehagens scheint wohl die „Court-TVsierung“ des Ganges der Gerechtigkeit, die Popularisierung der Justiz zu sein, die mit der Live-Verfolgung O.J.s über den San Diego Freeway begann. Gewiß ist die eine Seite dieses Phänomens die Vulgarisierung, die Obszönität einer Zuschauerzelle vor dem elektrischen Stuhl, auf dem Angehörige der Hinrichtung eines Todeskandidaten beiwohnen können. Die andere Seite ist aber, eben wie damals bei den Lippenstiften, die Claes Oldenburg in Harvard aufstellte, auch so eine Art Demokratisierungsimpuls. Schon der Knirps in „Der Klient“ weiß, daß er auf dem Fünften Zusatzartikel bestehen kann, wenn er die Aussage verweigern will. „Court TV“ „verrechtlicht“ private Beziehungen im selben Maß, wie es die Rechtsbeziehungen privatisiert – und die Nation schult sich daran. Da bleibt kein Auge trocken. Wer könnte da was dagegen haben? Mariam Niroumand

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