■ Die Bremer Grüne Marieluise Beck zur Zusammenarbeit mit der FDP in einer Ampelkoalition auf Landesebene: „Ohne die FDP wären wir weiter“
Marieluise Beck war von 1983 bis 1985 und von 1987 bis 1991 Bundestagsabgeordnete der Grünen. Seit Dezember 1991 ist sie Mitglied der Bremer Bürgerschaft. Am 16. Oktober will sie als Spitzenkandidatin der Bremer Grünen wieder in den Bundestag zurückkehren. Vor kurzem wurde sie in die Delegation berufen, die nach den Wahlen gegebenenfalls die Koalitionsverhandlungen führen wird.
taz: Als in Bremen vor drei Jahren über die Frage Rot-Grün oder Ampel entschieden werden mußte, behauptete Ralf Fücks, heute grüner Umweltsenator, in der Ampel liege eine große Chance: die Verbindung des Sozialen, Liberalen und Ökologischen zu einer neuen Zukunftspolitik. Ist daraus in den drei Jahren Bremer Ampelkoalition wirklich etwas geworden?
Marieluise Beck: Die FDP hat dieses Profil innerhalb der Koalition nicht geschärft und nicht wahrgenommen. Sie hat sich auf einen strukturkonservativen, wirtschaftsliberalen und antiökologischen Kurs in der Wirtschaftspolitik zurückgezogen. Und da sind auch die Hauptreibungspunkte mit der grünen Politik in der Ampel. Die FDP wäre klug beraten gewesen, wenn sie gesagt hätte: Wir stehen für einen Kurs der ökologischen Modernisierung, der ja auch ökonomisch gesehen sehr viel Sinn macht. Das hätte sich der FDP- Wirtschaftssenator dann auch an den Hut stecken können. Die FDP hat sich aber im Gegenteil verbuddelt in einer Blockadehaltung. Ihr Hauptziel ist, alle ökologischen Ansätze, die kommen, zu torpedieren. Die FDP wird von einer sehr konservativen Handelskammer in Bremen wie die Sau durchs Dorf gejagt und vertritt ein Politikmodell, das in die 70er Jahre gehört.
Gemeint war damals ja wohl auch weniger die Wirtschafts-, sondern die Rechts- und Innenpolitik. Es gibt ja in Bremen auch einen FDP-Innensenator.
Auch da gibt es Enttäuschungen. Die FDP hätte ja zum Beispiel eine liberale Asyl- und Ausländerpolitik zu ihrem Punkt machen können. Doch das hat sie nicht. Wir haben hier eine eher restriktive Ausländerpolitik, es gibt viel Kampf um die Frage, inwieweit der liberale Innensenator seine Möglichkeiten nutzt, Abschiebungen nicht durchzuziehen. Aber unsere Hauptreibungen mit der FDP liegen im Bereich Ökonomie/Ökologie und in der Sozialpolitik. Die Mehrheit in der FDP hat überhaupt kein Gefühl für sozialpolitische Fragen.
Gibt es denn überhaupt einen Bereich, in dem Grüne und FDP sich in der Ampel gemeinsam gegen die SPD durchgesetzt haben?
Ja, und zwar in den Bereichen, in denen es darum ging, nach 40 Jahren SPD-Herrschaft in Bremen, die zu einer starken Verstrickung und Vernetzung...
Zu einem Filz...
Das Wort möchte ich nicht benutzen, denn ich finde das ein Totschlagargument. Aber es hat viele Vernetzungen und Selbstverständlichkeiten in der Sozialdemokratie gegeben bei der Verteilung von Positionen, bei Geldzuweisungen zu SPD-nahen Institutionen usw. Das ein Stück anzugehen wäre in einer rot-grünen Koalition für uns alleine sehr schwierig gewesen. Da war die Dreierkonstellation hilfreich.
Das ist Altlastbewältigung. Aber gab es auch ein gemeinsames Zukunftsprojekt von Grünen und FDP, zum Beispiel die Reform des öffentlichen Dienstes?
Inzwischen führen alle Parteien das wunderbare Wort „Verschlankung“ im Munde, die FDP aber hat sich hier in Bremen im wesentlichen darauf beschränkt, das Personalvertretungsgesetz zu novellieren, damit auch ein Stück Mitbestimmungsrecht für den öffentlichen Dienst einzuschränken und die Privatisierung öffentlicher Angebote zu fordern. Und hier hört dann die Gemeinsamkeit schon wieder auf.
Die Ampel ist also keine Vision. Funktioniert sie in Bremen denn zumindest als Notkonstruktion zur Mehrheitsbildung? Oder hat sie jede Politik blockiert?
Nein, in vielen Bereichen sind politische Entwicklungen in Gang gekommen, die unter der SPD-Alleinregierung blockiert waren. Aber das sind oft sehr beschwerliche und für die Bürgerinnen und Bürger oft kaum mehr nachvollziehbare langwierige Aushandlungsprozesse. Wobei ich davon ausgehe, daß das für die politische Kultur auch nicht schädlich ist, denn diese über Wahlarithmetik zusammengekommene Koalitionsbildung bedeutet ja nur eine Widerspiegelung der Vielfalt der Meinungen innerhalb der Bevölkerung. Grüne Vorstellungen sind nicht per se mehrheitsfähig. Wir spiegeln die unterschiedlichen Einstellungen der Gesellschaft wider, und das macht die Kompromißfindung sehr schwierig. Das ist kein Zuckerschlecken, aber es geht.
Wäre Bremen mit einer rein rot- grünen Koalition heute weiter?
Ich glaube, daß wir in manchen Bereichen weiter wären. Aber man darf sich keine Illusionen machen: Die SPD ist in sich ja auch sehr gespalten, mit einem Flügel, der eher in Richtung strukturkonservativer, nichtökologischer Politik, also eher zur CDU hin tendiert. Und ich bin mir sicher, daß, wenn wir die FDP in der Koalition mit ihrer bestimmten Rolle nicht hätten, ein Teil dieser Rolle auch von der Sozialdemokratie übernommen würde. Aber es ist vom Verhandlungsprozeß natürlich leichter, wenn zwei Kompromisse schließen müssen als drei.
Wie wäre das in Bonn? Würden Sie nach dem 16. Oktober lieber mit einer knappen rot-grünen Mehrheit in die Regierung gehen oder in einer Ampelkoalition mit größerer Mehrheit?
Ich würde das Experiment einer knappen rot-grünen Mehrheit wagen, wobei dann sehr entscheidend ist, welche Zusammensetzung die SPD-Fraktion hat. Wenn wir das gleiche erleben würden wie hier in Bremen, daß nicht nur Einzelmitglieder, sondern ein maßgeblicher Teil der SPD-Fraktion das Projekt Rot-Grün nicht mitträgt, dann wäre dieses Bündnis sehr schnell am Ende. Und angesichts der Weichenstellungen, die anstehen, wäre eine schwache Regierung natürlich nicht unproblematisch.
Ein Beispiel?
Die Debatte um den Transrapid hat gezeigt, wie gespalten die SPD ist. Früher hatte die SPD immer Angst, als Vaterlandsverräter dazustehen, und übte sich deswegen oft in vorauseilendem Gehorsam. Diese Gefahr besteht nun auch im Bereich der Wirtschaftspolitik. Wenn die SPD ständig Angst hat, sie werde mit dem Label behaftet, wirtschaftsschädigende Entscheidungen zu treffen, wird sie auch nicht mutig sein. Eine FDP, die wirklich eine ökologische Modernisierungspartei wäre, könnte die Rolle übernehmen, beruhigend auf diesen Teil der Gesellschaft einzuwirken. Aber das ist im Augenblick nicht erkennbar. Interview: Dirk Asendorpf
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