Angst vor der Massenentlassung

■ VW-Beschäftigte in Emden befürchten „fünfmal Lemwerder“

Emden – Abwarten und Tee trinken – Kommunal- und Regionalpolitiker in Ostfriesland können diese gemütliche Charakterhaltung nicht länger als Tugend betrachten. An der Ems geht mal wieder die Angst um, daß Ostfriesland massive Lungenentzündung bekommt, nachdem Negativ-Meldungen aus der Wolfsburger VW-Spitze bekannt wurden. Die Furcht vor Husten im Volkswagen-Konzern läßt die Verantwortlichen in der Weser-Ems-Region zwar regelmäßig aus dem Schlaf schrecken. Doch vor wenigen Tagen gab es wieder einen konkreten Anlaß: Bei einer Betriebsversammlung im Volkswagenwerk Emden sprach die Konzernspitze von 2.000 bis 3.000 Mitarbeitern, die innerhalb von vier Jahren gehen sollen.

„Wir haben hier fünfmal Lemwerder, doch das kann sich außerhalb Ostfrieslands eigentlich niemand richtig vorstellen“, sorgt sich Emdens Oberbürgermeister Alwin Brinkmann (SPD). Der Landtagsabgeordnete erinnert sich mit Bitterkeit an Überlegungen aus dem Jahr 1975, als das 1962 eröffnete Werk von Schließungsplänen bedroht war. In den Folgejahren sanken die Belegschaftszahlen von rund 12.000 um knapp 3.000 Arbeitsplätze. „Wenn ein Schnitt in dieser Größenordnung nochmal passiert, hätten wir bis 1998 über 6.000 Arbeitsplätze verloren. Das ist in dieser strukturschwachen Region nicht mehr zu kompensieren“, fürchtet der Oberbürgermeister, der auch auf die zahlreichen Pendler aus dem Umland von Papenburg bis Wilhelmshaven hinweist.

Bei der Gewerkschaft IG Metall in Emden herrscht bereits jetzt Krisenstimmung. Der Zielzahl von VW-Managern, die das Werk von 9.300 Mitarbeitern auf eine Zahl von 6.000 bis 7.000 abspecken wollen, sieht der Erste Bevollmächtigte Uwe Schmidt mit Skepsis entgegen. „Das klappt nur, wenn der bis Ende 1995 gültige Tarifvertrag verlängert wird und deutlich mehr Fahrzeuge produziert werden als bisher.“

Doch genau da liegt der Haken: So schnell, wie der „Passat“ in Emden von den Bändern rollen soll, wird er nicht verkauft. Trotz des Vier-Tage-Modells, das die Arbeitsplätze sichern soll, werden genausoviel Volkswagen gebaut wie früher an fünf Tagen.

Neben Schmidt läuft auch anderen Gewerkschaftern im Werk „die Galle über“, wenn im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Arbeitsplatzabbau das Wort „sozialverträglich“ fällt. Die Angst, daß man doch auf der Entlassungsliste stehen könnte, ist jetzt schon da, denn über vorzeitigen Ruhestand werden bis 1998 nur rund 1.000 Stellen abgebaut werden. Auch die Vorstellung, daß Jugendliche Ersatzarbeitsplätze in anderen Werken besetzen könnten, ist für viele kein Trost. „Was hier abgebaut wird, ist doch unwiderruflich für die Region verloren“, sagt der Betriebsrat. dpa

Als ein Hoffnungsschimmer erscheint Jann-Peter Jannssen vom Betriebsrat die Forderung nach einer Abwrackprämie für Altautos, um so die Automobilindustrie anzukurbeln. Andere in der VW-Belegschaft fragen sich aber auch, ob Wolfsburg genug für das Flaggschiff aus Emden tut. Bei dem Aufwand, der etwa für das „Golf“-Modell betrieben werde, müsse man sich nicht wundern, wenn sich der „Passat“ künftig im Windschatten diverser Golf-Modelle bewege.

Hans-Christian Wöste, dpa