Deutschland, großer Ichmacher

■ Grobe Szenen aus neudeutschen Niederungen: In Wuppertal wurde „Ich bin das Volk“, eine rotzige Germaniade aus der Feder von Franz Xaver Kroetz, uraufgeführt

Ein Skinhead wirft eine Bierflasche an die Wand, darauf erscheint eine Fee und erfüllt ihm drei Wünsche. „An Hundata“, sagt er erregt, dann „An Fünfhundata“ und zuletzt „An Tausenda, an neia“. Wahnsinn sei das, keucht er und ist am Ziel seiner Träume, womit Franz Xaver Kroetz schon in der ersten Szene seines neuesten Stücks „Ich bin das Volk“ das Dilemma des stramm teutschen Amokläufers auf den Punkt bringt. Er kann sich nicht einmal sein eigenes Glück erträumen, die Leere in ihm wäre mit keiner noch so voluminösen Kanzlermasse zu füllen. Ganz Deutschland muß herhalten.

Deutschland ist „der große Ichmacher“, heißt es mehrmals in Kroetz' Querschnitt durch die Niederungen deutschen Wesens, in dem der neunationale Bürger auch in feinerer Form herumspukt. Ein Funk-Chef etwa legt seinen Redakteuren in wohlgesetzten Worten dar, man brauche nicht jede „Feuerentwicklung gleich als rechtsradikales Treiben zu identifizieren“, am Ende landet er beim Feuer an sich und seiner Bedeutung für die europäische Kultur.

Er ist nur einer von vielen, der sich beim Reden selbst entlarvt. In den 25 Kroetz-Szenen geht es wie kaum in den letzten Jahren zur Sache: Kohl und Stoiber, der DGB- Dichter, der auch mal was gegen Rechts schreiben will, der Richter und der Herr Ministerialrat. Sie alle dürfen sagen, was sie sich sonst nur im engsten Kreis trauen. Alles ist, wie gesagt, kein Märchen aus deutschen Landen, obwohl Holk Freytag in der Uraufführung eines inszenieren wollte. Tatort ist Wuppertal, dort darf die Fee eine allerliebste Loreley sein, unter ihr der Felsen, vor ihr das blau glänzende Band des Rheins, während der Funk-Chef merkwürdigerweise zum Feuerwehrmann wird.

Amokläufer sprachlich kenntlich gemacht

Kroetz ist einer der wenigen, der genau hinhört, wie in diesem Land gesprochen wird, und er kann es bis zur Kenntlichkeit verdichten. In Wuppertal hat man seine Amokläufer wieder in die Beliebigkeit hinein inszeniert und ist einer Szenenfolge ausgewichen, mit der Kroetz derart vehement seine Rückkehr als Bühnenautor vorantreibt, wie es kaum jemand für möglich gehalten hätte. Warum auch? Reichte es nicht, daß er Anfang der siebziger Jahre mit „Wildwechsel“, „Stallerhof“ und „Oberösterreich“ einer der meistgespielten deutschen Autoren war, seine Stücke aber inzwischen von Werner Schwab postmodern durchkonjugiert wurden und Kroetz sich via Bild-Kolumne selbst demontierte – das sei das endgültige Aus, dachten alle. Doch schon letzte Saison meldete er sich zurück und inszenierte im Münchner Kammertheater ein Remake seines „Lieber Fritz“ aus den siebziger Jahren. „Der Drang“ hieß die leicht abgewandelte, umgestellte und mit einem neuen Akt revitalisierte Version. Die Überraschung war perfekt. Da kam nicht etwa ein verklemmter Aufklärer zurück, sondern ein unbefleckter Baby Schimmerlos, der eines der Theaterereignisse der letzten Saison inszenierte. Man durfte hoffen, er werde fortan wieder für die Bühne und nicht nur für die Leserbriefseiten von Bild und Süddeutsche schreiben, wo die Briefe, wie er selbst klagte, dann doch nicht abgedruckt wurden. Er hat die Erwartungen nicht enttäuscht und mit „Ich bin das Volk“ Szenen geschrieben, in denen gegenwärtige Geistesverfassungen derart prägnant dialogisiert sind, daß man sich beim Lesen fragt, ob das Theater nicht zwangsläufig an diesem treffsicheren Text vorbeizielen wird.

„Ich bin das Volk“ ist mehr als nur ein grober Keil in den rechten Mainstream. Kroetz, das sah man schon bei „Der Drang“, ist sich seiner Mittel sicherer denn je und gibt in der neuen Szenenfolge mit knapp gedrechselten Regieanweisungen („Pißgegend U- oder S-Bahnhof. Sie stehen in einem Eck um das Opfer herum. Insgesamt heimliche Szene, verquält und still. Das Opfer ist ein dunkler, weicher Typ“) Hinweise, wie die einzelnen Szenen angelegt sein könnten, damit man die Ängste und Sehnsüchte, die hinter dem Amok liegen, sieht. In Wuppertal jedoch mied man die leisen Töne und heruntergekommenen Orte, ebnete alles im Einheitsbühnenbild ein, das von einem überdimensionalen Stammtisch dominiert wird.

Das wäre wohl zu viel gewesen: Die versifften deutsch-deutschen Winkel und dazu noch Texte wie diese. „Inge: Was is'n des Scheißdeutschland für dich? Torsten: A Ichmacher. Inge: Du bist arbeitslos und untabelichtet, und das verdankst du Deutschland. Torsten: Das sagst du nur, weil du keine Angst vor mir hast. Dir werden wir es bestimmt auch noch lernen. Deutschland ist Blut, Rasse und Krieg. Inge: Und dafür bist du? Torsten: Ja! Inge (überlegen): Hast du schon einmal gefickt?“ Jürgen Berger

Franz Xaver Kroetz: „Ich bin das Volk“. Regie: Holk Freytag. Ausstattung: Wolf Münzner. Mit Christine Sohn, Cornelius Schwalm, Bernd Kuschmann, Andrea Witt und anderen. Wuppertaler Bühnen. Weitere Vorstellungen 1., 2., 5., 7., 15., 22.10.