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Josephe Nkulikje lacht – und schweigt

Im „neuen Ruanda“ haben vor allem die Militärs das Sagen / Die Rückkehr der Tutsi-Exilanten bringt neues Leben – und neue Konflikte / „Nationale Versöhnung wird hier nicht stattfinden“  ■ Aus Kigali Bettina Gaus

Der belgische Geschäftsmann hat endgültig die Nase voll: „Zum Teufel mit ihnen allen. Ich fliege nach Europa zurück.“ Zwei Wochen lang hatte er sich darum bemüht, sein Hotel in der südruandischen Kleinstadt Butare zurückzubekommen, aus dem er Anfang April kurz nach Beginn der landesweiten Massaker geflohen war. Ohne Erfolg: In dem Hotel haben sich Soldaten einquartiert – und die lassen den Besitzer nicht einmal über die Türschwelle.

„Der Präfekt der Provinz hat mich einfach nicht empfangen. Und ohne ein Papier von dem geht gar nichts“, erklärt der Belgier, der berichtet, er sei in der Angelegenheit auch bei Premierminister Faustin Twagiramungu vorstellig geworden: „Da war alles in fünf Minuten erledigt. Ich kann beweisen, daß mir das Hotel gehört, und er hat gesagt, ich bekomme es zurück. Sofort. Genützt hat es gar nichts.“

Zwei Monate nach dem Sturz des alten Regimes in Ruanda reicht der Arm der neuen Zivilregierung nicht weit. Die Militärs haben das Sagen im Lande. In Butare bewohnen fast nur Soldaten der siegreichen RPF (Ruandische Patriotische Front) die komfortablen Villen, die von ihren Eigentümern fluchtartig verlassen worden sind. „Die Geschäfte hier haben alle neue Besitzer“, sagt ein Priester. „Die Soldaten helfen ihnen, in die Gebäude reinzukommen, und dann sind sie eben besetzt.“

Nicht nur in Butare. „Ich höre aus allen Bereichen, daß da jetzt ,neue Leute‘ sitzen“, berichtet ein Diplomat in der Hauptstadt Kigali. „Ich glaube, daß fast alle Läden von Leuten geführt werden, die aus dem Ausland kommen.“ Manche erfüllen sich damit einen lebenslangen Traum: Der Wunsch von Exilruandern nach Heimkehr, die ihnen von der alten Regierung jahrzehntelang verweigert worden war, hatte zur Gründung der RPF und dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1990 geführt.

„Niemand kann verstehen, wie sich ein Flüchtling fühlt, der nicht selbst einer ist“, sagt Willy Nkurayija, der in Kigali für das SOS-Kinderdorf arbeitet und sein ganzes Leben im Ausland verbracht hat. „Hier in Kigali fühle ich mich zum ersten Mal in meinem Leben sicher. Es kann jemand das Gewehr auf mich richten, aber niemand kann sagen: Du bist ein Fremder, verschwinde.“

Aber nicht alle, die jetzt nach Kigali kommen, folgen einer alten Sehnsucht. „Viele wollen eine schnelle Mark machen und dann wieder gehen. Die sitzen hier in den Restaurants und reden, und man merkt genau: Die testen erst einmal, wie tief das Wasser ist“, meint ein UNO-Mitarbeiter.

„Ich habe hier einen kleinen Laden eröffnet“, erzählt ein Geschäftsmann aus Burundi. Die „lokalen Behörden“ hätten ihm den Platz zugewiesen. Er läßt das Geschäft von einem Angestellten führen und bleibt in seiner Heimat. Und wenn die alten Eigentümer zurückkommen? „Na ja, dann muß man sehen. Dann muß ich es wohl zurückgeben.“

Regierungsvertreter haben mehrfach beteuert, daß alle Gebäude den alten Eigentümern bei deren Rückkehr zurückgegeben werden sollen. Aber die Politiker sind in der Zwickmühle: Viele der „Hausbesetzer“ waren Zahlmeister der RPF und erwarten jetzt den Lohn für ihren Einsatz.

Die meisten Heimkehrer und RPF-Soldaten gehören zur Tutsi- Minderheit, die kurz vor der Unabhängigkeit aus ihrer jahrhundertealten beherrschenden Stellung im Lande vertrieben worden war und deren Angehörige danach zu Tausenden ins Ausland geflohen waren. Jetzt halten sie das Steuer erneut in der Hand. Unter Beobachtern verstärkt sich der Verdacht, daß Politiker der Hutu- Mehrheit wie Premierminister Faustin Twagiramungu den wahren Machthabern nur als Aushängeschild dienen und kaum etwas zu sagen haben. Auch die Gespräche des aus Zaire nach Ruanda zurückgekehrten ehemaligen Generalstabschefs Marcel Gatsanzi mit der RPF halten manche eher für eine PR-Aktion als für ein Zeichen echter Bereitschaft, Vertreter der alten Elite am Neuaufbau zu beteiligen. Politische Spannungen gären deshalb: „Twagiramungu gilt für die meisten Hutu als Verräter, und sie können die Tutsi-Herren hier nicht ertragen. Nationale Versöhnung wird hier einfach nicht stattfinden“, glaubt der UNO-Mitarbeiter.

Der Premierminister hat sich nach jahrelanger Abstinenz das Rauchen wieder angewöhnt und zu manchen Themen seine Meinung geändert. So bald wie möglich sollten Wahlen stattfinden, hatte er noch vor kurzem öffentlich erklärt. Jetzt meint er: „Damit hat es die Bevölkerung nicht eilig. Die ist jetzt vor allem mit dem Wiederaufbau der Nation beschäftigt.“

Welcher Nation? Ruanda ist noch immer ein leeres Land. Verwahrloste Kaffeebüsche mit unbeschnittenen Trieben stehen neben braunen Feldern, auf denen nur noch Unkraut wächst. Auf den Straßen im Landesinneren verkehren fast nur Fahrzeuge ausländischer Hilfsorganisationen. Ausgebrannte Lastwagen und Autos am Wegesrand erinnern an Kämpfe und Flucht. Kleine Geschäftszentren liegen verlassen da. Es gibt sogar ganze Städte, in denen kaum jemand zu wohnen scheint.

Im nördlichen Byumba patrouillieren Soldaten zu zweit oder zu dritt vor geplünderten Geschäften und leeren Wohnhäusern. Doch, einige Einwohner seien zurückgekommen, meint Schwester Odrada in der großen Missionsstadt am Stadtrand, in deren Nähe noch vor einigen Monaten Hunderttausende von Flüchtlingen untergebracht waren. Aber die Lebensbedingungen seien schwierig: „Es gibt nicht genug zu essen, es fehlt an Medikamenten, es gibt nur selten Wasser und keine Elektrizität. Und wir brauchen einen Arzt. Im Krankenhaus der Stadt werden nur Soldaten behandelt, keine Zivilisten. Aus Sicherheitsgründen.“

Aber es gibt in Ruanda auch Zeichen der Hoffnung. Hier und da steigt Rauch aus den Hügeln auf: In einigen Bauernhöfen wird wieder gekocht. Neu bepflanzte Felder mit Bohnen und Süßkartoffeln weisen auf Rückkehrer hin. Flüchtlingslager innerhalb Ruandas gibt es nur noch im Südwesten des Landes, in den anderen Regionen sind sie aufgelöst worden.

„Vor einem Monat war hier alles noch ganz und gar verwildert, aber jetzt fangen die Leute wieder an“, meint Michel Brahier vom Internationalen Roten Kreuz (IKRK), das Saatgut an die Bevölkerung verteilt. Von 500.000 Empfängern gehen IKRK-Mitarbeiter allein im Norden des Landes aus – über den Daumen gepeilt.

Alle Zahlen sind über den Daumen gepeilt. 10.000 Kinder, die in den Kriegswirren ihre Eltern verloren haben, hat das IKRK registriert. Unicef schätzt ihre Zahl auf 114.000. Aber sogar eine Mitarbeiterin der Organisation sagt achselzuckend: „Ich weiß auch nicht, wo die Kollegen das herhaben wollen.“

Mehr als sieben Millionen Einwohner waren in der letzten Volkszählung des zentralafrikanischen Landes registriert worden, das einst das am dichtesten bevölkerte in Afrika gewesen ist. Eine Million Todesopfer haben nach Schätzungen der neuen Regierung die Massaker gefordert, die Militärs und Milizen der früheren Einheitspartei an der Tutsi-Minderheit und oppositionellen Hutu nach dem Flugzeugabsturz des Präsidenten Juvénal Habyarimana am 6. April verübt haben. 1,5, vielleicht auch 2 Millionen Ruander sind ins Ausland geflohen. Und die anderen? Wo sind sie?

Vierzig Angestellte hat der italienische Apotheker Giancarlo Davite vor dem Asubruch der Gewalt in Kigali beschäftigt: „Fünfzehn sind tot, neun arbeiten wieder hier, neun sind Flüchtlinge. Die übrigen werden vermißt.“

Auf dem großen Markt im Zentrum der Hauptstadt erinnert nichts mehr an das Blutbad. Hier drängen sich die Kunden: Das Warenangebot reicht von Thermoskannen über vergoldete Türklinken, Kernseife, Schuhe und Bügeleisen bis zu Tomaten, Reis, Kartoffeln und Fleisch. Aber die Käufer müssen tief in die Taschen greifen: Kartoffeln, Zucker und Bohnen sind doppelt so teuer wie vor dem Krieg. Brot, Bier und Limonade kosten das Fünffache.

Es läßt sich in Kigali schon wieder recht komfortabel leben. Im Nobelhotel Milles Collines, das während der Kämpfe um die Hauptstadt Hunderten von verängstigten Bürgern als Zufluchtsstätte diente, wird der Swimmingpool wieder gefüllt. Strom aus einem Generator läßt den Lift funktionieren. Auf dem Parkplatz wird ein Mercedes mit burundischem Kennzeichen mit Wasser aus einem Schlauch abgespritzt. Luxus für wenige. Beatrice Mukankundiye, deren Mann den Massakern zum Opfer gefallen und die mit ihren beiden Kindern bei ihren Eltern untergekommen ist, muß zweimal am Tag einen Kilometer laufen, um zu der nächstgelegenen Wasserausgabestelle zu gelangen. „Das Wasser kostet nichts. Aber der Kanister ist zu schwer für mich. Deshalb muß ich einen Träger bezahlen“, erzählt sie, die als Köchin bei einer Hilfsorganisation Arbeit gefunden hat. Der Träger kostet täglich mehr, als sie ausgeben muß, um ihre Familie zu ernähren. „Nur die, die aus dem Ausland kommen, haben Geld“, meint der Priester Nicodeme Nayigizitii. „Die haben die Taxis, die haben die Geschäfte. Die anderen leben von Hilfslieferungen.“

Der Aufbau des Landes geht dennoch voran. Die Grundschulen werden geöffnet. In der Stadt Gisenyi an der Grenze zu Zaire werden Krankenhaus, Hotel, Brauerei und Straßenlaternen bereits wieder mit Leitungsstrom versorgt. Auch in Kigali ist nach Angaben der deutschen GTZ schon bald eine Notversorgung mit Strom möglich. Seit drei Wochen sendet Radio Ruanda wieder, die Anlage wurde mit Hilfe der Deutschen Welle repariert. Die Weltbank stellt 280 Millionen Dollar für verschiedene Projekte in Aussicht, wenn ausstehende Schulden beglichen worden sind. Die Hürde ist nicht unüberwindbar: Es geht um 3,8 Millionen Dollar, für die sich – so hofft die Regierung – ein Geber finden lassen wird. Beim jährlichen Weltbanktreffen im Oktober soll in Madrid die Lage sondiert werden.

Die seelischen Verletzungen in der Bevölkerung jedoch eitern weiter. „Doch, doch, wir werden uns versöhnen und jetzt friedlich zusammenleben“, versichert der Tutsi-Geschäftsmann Josephe Nkulikje. Steht er seinen Hutu- Nachbarn nach den Massakern nicht mißtrauisch gegenüber? Josephe Nkulikje lacht. Und schweigt.

Mißtrauen herrscht auch auf der anderen Seite. „Wir alle haben Angst. Rückkehrer sind mit Macheten und Gewehren von der RPF ermordet worden“, sagt ein Flüchtling in der Nähe der Stadt Gikongoro im Südwesten Ruandas, der ehemaligen französischen „Schutzzone“. Tausende leben dort noch immer in Lagern und wagen die Heimkehr nicht.

Vor dem Gefängnis in Butare hält ein Kleinlastwagen. Soldaten bringen etwa 15 Verhaftete ans Tor. Mörder – oder ganz einfach Männer, die etwas hatten, was ein anderer gern wollte? Arbeit, Geld, ein Haus? Denunziationen sind derzeit ein leichtes Mittel, um Gegner aus dem Weg zu räumen. Etwa 2.500 Häftlinge werden vom Roten Kreuz in Gefängnissen besucht. Sie stehen unter dem Verdacht, an Massakern beteiligt gewesen zu sein. Auch 33 IKRK-Angestellte sitzen seit zwei Monaten ohne Anklage hinter Gittern.

Vom Ausland ist der Regierung eine Amnestie für Mörder nahegelegt worden. Premierminister Twagiramungu lacht bitter: „Das ist eine Verhöhnung der menschlichen Rasse. Warum vergessen die Leute so schnell? Massaker und Völkermord haben im April begonnen. Eine Million sind gestorben. Alle Ausländer sind weggelaufen, niemand hat interveniert. Amnestie? Kommt der Vorschlag, weil wir Afrikaner sind? Nach den Nazi-Verbrechern wird heute noch gesucht.“

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