■ Bayern muß nicht Meister werden
: Die Bayernwahl bestätigt den neuen Regionalismus / Unter diesem Trend leiden alle kleinen Parteien, auch die Grünen: Ihnen droht die Rolle des "Anhängsels", dem rot-grüne Treue wenig bringt, weil dann...

Keine Überraschungen in Bayern – nehmen wir es sportlich: Bayern München, die Kartellmannschaft Edmund Stoibers, wird immer Meister, auch wenn es während der Saison krasse Affären und Ausrutscher gibt. Nürnbergs „Clubberer“ machen gute Spiele – in der zweiten Liga. 1860 München, die bevorzugte Proleten-Equipe Franz Schönhubers, steigt ab. Andere ruhmreiche Mannschaften des Südens wie Unterhaching bekommen keine Lizenz mehr im Profifußball. Die Spielvereinigung Vestenbergsgreuth ist als einziges Team fähig, den Bayern mal ein Bein zu stellen.

Auch in der Landespolitik gilt: The winner takes it all. Die geläufigen Feststellungen, daß a) Landtagswahlen eigenen Gesetzen folgen und wenig Aufschlüsse für die Mehrheit in Bonn geben, und b) die Volksparteien wieder da sind, muß nach den Wahlen in Potsdam, Dresden und München neu akzentuiert werden: Absolute Mehrheiten haben bald die absolute Mehrheit in Deutschland.

Wie kommt es zu solchen im europäischen Maßstab ungewöhnlichen Erfolgen? Die von Landesvätern repräsentierten Großparteien verkörpern regionale Eigenheiten – an der Saar wie an der Isar, im Bundesland Nordrhein-Westfalen ebenso wie in Niedersachsen und erst recht in den ostdeutschen Ländern. Der Prototyp solcher Regionalparteien ist die bayerische CSU. Kein Sozialdemokrat, erst recht kein Ökologe oder Liberaler, kann die politisch-kulturelle Kontinuität Bayerns seit dem Grafen von Montgelas so gut darstellen wie die Staatspartei, die erst 1945 gegründet wurde. Die CSU ist keine reine „Bayern-Partei“, wie die anfangs mächtige, heute zur Sekte geschrumpfte Konkurrenz heißt. Sie ging über katholische Kontinuität und skurrilen Separatismus hinaus und führte das heterogene Agrarland der Franken, Schwaben und Altbayern in die Dienstleistungsgesellschaft, ohne die ländliche Heimattradition zu vernachlässigen. Aus der Kombination von Heimatgefühl und High-Tech entstand ein moderner Regionalismus, der stark genug war, die bayerischen Sonderinteressen in Bonn und Brüssel zu wahren. Seit 1957 regiert die CSU unangefochten, seit 1966 allein. Die Krise, die mit dem Scheitern und Tod von Franz Josef Strauß eingetreten war und die Partei in den „Amigo-Affären“ an den Rand des Scheiterns führte, hat die CSU allen Unkenrufen zum Trotz überstanden. Auch die Relativierung Bayerns im vergrößerten Deutschland hielt sich in Grenzen. Die CSU wird auch in der Berliner Republik und im Maastricht-Europa präsent bleiben. In Bonn will sie die drittstärkste Kraft werden, in Brüssel das „Europa der Regionen“ vorantreiben.

Der Erfolg der CSU als Mo- dell für die neuen Länder

Diesem Modell folgten die sozialdemokratischen Industriepolitiker in Düsseldorf und Hannover, jetzt die Ersatzmonarchen Biedenkopf und Stolpe im Osten – selbst die von der CSU so massiv angefeindete PDS ist ein neuer Versuch, eine Regionalpartei zu etablieren. Der Nachkriegsaufschwung Bayerns vom Schlußlicht an die Spitze ist die Matrix für den „Wiederaufbau Ost“, vor allem in Sachsen und Thüringen, wo ein gestürzter Landesfürst, Lothar Späth, nun ohne politisches Amt die Fäden zieht. Die ostdeutschen Länder wollen an traditionellen Standorten vorbeiziehen, wie Bayern und Baden- Württemberg einst an den nordwestdeutschen – und die südwestdeutschen Tabellenführer könnten davon eher betroffen sein als ihnen lieb ist, birgt doch die Fixierung auf Automobil-, Rüstungs- und Luftfahrttechnologie an kostspieligen Standorten erhebliche Abstiegsrisiken in sich.

Die strukturelle Unions-Mehrheit ist in Bayern gewährleistet durch die Stärke regionaler Identifikation in allen sozialen Milieus: auch unter jungen Leuten, gewerkschaftlich gebundenen Arbeitnehmern und konfessionell Ungebundenen erreicht die CSU um die 40 Prozent der Stimmen. Es ist dieser Regionaleffekt, der die Großparteien in den Ländern stärkt und es kleinen Konkurrenten schwermacht. Die einstmals starken bayerischen Liberalen und die theoretisch zu zweistelligen Ergebnissen fähigen Reps haben neben einer psychologisch erholten CSU keine Chance. Renate Schmidt holte grüne Stimmen und drückte die Bündnisgrünen hart an die Abstiegszone. In vielen Regionen, zum Beispiel in München, gewannen beide Großparteien kräftig hinzu (außer Peter Gauweiler), in anderen (Augsburg, Oberpfalz, in ganz Franken) gewann die Sozialdemokratie ihre alte Stärke wieder, ohne freilich an der politischen Architektur Bayerns insgesamt etwas ändern zu können. Zur Vertretung regionaler Interessen in Bonn und Brüssel scheinen liberale, ökologische oder nationalistische „Korrektive“ nur zu stören, „Mehrheitsbeschaffer“ wären nur ein Klotz am Bein. Der Gewinner nimmt alles mit. Der politische Regionalismus, der in Italien und Belgien längst zur Spaltung des Landes geführt hat, ist im deutschen Föderalismus domestiziert, aber um so wirksamer. Jeder Kanzler und jeder EG-Präsident wird mit den Bundesländern rechnen müssen, vor allem mit der potenten Lega Süd in München.

Genau dieser antizentralistische Effekt führt dazu, daß die kleinen Parteien in Bonn noch gebraucht und auch gewählt werden. Dieses Mal ist es für die Liberalen wirklich knapp – weniger weil der parteiförmige Liberalismus überflüssig geworden ist (das ist er schon lange) als aufgrund der Rechenkunststücke, die potentielle FDP-Zweitwähler jetzt anstellen werden. Der Mitleidseffekt, den Kinkel mobilisiert, kann ins genaue Gegenteil umschlagen – in die Furcht, Stimmen für die Kanzlermehrheit zu verschenken. Dann schrumpfte die FDP auch im Bund auf das mickrige Stammwählerpotential, das sie in Ländern und Kommunen noch mobilisieren kann. Für die Bündnisgrünen sieht es nicht viel rosiger aus. Nicht nur, daß sie eine ausgesprochen dünne Personaldecke haben und am Ende des Superwahljahres in der letzten Spielminute einzubrechen drohen, sie geraten nolens volens in die Rolle des „Anhängsels“, dem rot-grüne Treue wenig bringt und offene Koalitionsaussagen (wie in Sachsen) als blanker Opportunismus ausgelegt werden.

Anders sieht es mit den Reps aus, die ihre Chance vorerst verspielt haben. Die Parole von Franz Josef Strauß, daß es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, ist gültig – unter der Voraussetzung, daß die CSU auf Bundesebene selbst als Partei rechts von der CDU wirkt. Doch zur Entwarnung besteht kein Anlaß: Ebenso rasch, wie sich das rechtspopulistische Wählerpotential demobilisieren ließ, kann es unter „günstigen“, das heißt krisenhaften Konstellationen wieder auftauchen. Vorerst bewirkt das Scheitern der „vierten Partei“ eine Frustration der rechten Kader, die jetzt außerparlamentarisch und militant aktiv werden müssen. Rechtsradikale gibt es auch nach und ohne Frey und Schönhuber.

Das Spiel in Bonn ist nur vorentschieden, doch der Schlußpfiff ertönt erst am 16. Oktober. Nur ein Comeback von 1860 scheint ganz ausgeschlosssen. Aber Bayern muß nicht deutscher Meister werden, Vestenbergsgreuth kann sogar den Pokal holen, der Wiederaufstieg von Unterhaching ist möglich. Die Nürnberger können noch in der letzten Minute das Siegtor schießen. Auf Schützenhilfe (oder Spielereinkäufe) von Ex-Dynamo- Berlin sollten sie dabei allerdings nicht hoffen. Claus Leggewie

Der Autor analysiert für uns im Wechsel mit Joachim Raschke die Wahlen vor dem 16. Oktober in bundespolitischer Perspektive.