Neben-Hauptsachen

■ Wilhelm Genazino las aus neuem Buch

Dafür, daß sein neues Buch kein 400-Seiten-Roman geworden ist, kann Wilhelm Genazino einen einfachen Grund nennen: „Es gibt viele Sachen, von denen jungen Leute ununterbrochen reden, die die Ich-Erzählerin aber nicht mehr anspricht.“ Kann das Aussparen bestimmter Themen manchmal ebenso aussagekräftig sein, so hinterließ Die Obdachlosigkeit der Fische, erschienen im Rowohlt-Verlag, beim Publikum der Lesung im Cafe im Buch am Montagabend jedoch eher ein Gefühl der Ratlosigkeit.

Mit jener „Genauigkeit im Subjektiven“, die Veranstalter Jürgen Verdofsky eingangs an Genazinos Erzählstil lobte, zeichnet er zwar die Bemühungen einer 44jährigen Lehrerin nach, mit Nebenbeschäftigungen der Definition einer persönlichen Hauptbeschäftigung zu entgehen. So richtet sich ihre Aufmerksamkeit in manischer Weise auf „jedes erstbeste Detail meiner unmittelbaren Umgebung“, als da wären: Orangen, Widder und Fische, Fische, Fische. Allerdings: Um die innere Leere und Fremdheit der Protagonistin zu beschreiben, hätte es eigentlich nur einiger weniger Episoden bedurft, und nicht der 124 Seiten, die der Roman letztendlich lang geworden ist. Interessant noch die seltene Erzählperspektive. Befragt allerdings, warum er als Mann eine Frau als Ich-Erzählerin gewählt habe, konstruiert Genazino eine etwas eigenwillige Begründung für diese postmodernen Geschlechterauflösung: „Bestimmte Stellen des Romans können zwar von einem Mann beschrieben werden, so aber nur von einer Frau empfunden werden“. Außerdem habe er schon immer wissen wollen, ob er so schreiben könne. Nicht nur im Roman: Nebensachen statt Hauptsachen. jae