Einheit ohne Jubel

■ Der 3.10. in Hamburg, Schwerin und Saarbrücken

Feiern wollten sie, stattdessen wurden sie durchs Fegefeuer gejagt, die Politik-Prominenten, die sich am 3. Oktober vor einem Jahr zum „Einheits“-Gottesdienst in der Saarbrücker Ludwigskirche versammelt hatten: Der Trierer Bischoff und der Präses der rheinländischen Evangelischen Kirche ließen sich nicht instrumentalisieren für eine Jubelfeier, sondern lasen den PolitikerInnen die Leviten: Was sei das für eine Demokratie, was für eine Einheit, wenn ein Drittel der Gesellschaft immer mehr ins soziale Abseits gerate! Ganz still wurde es da im großen Kirchenschiff.

Bei den drei ersten „Einheits“-Feiern in Hamburg (1991), Schwerin (1992) und Saarbrücken (1993) kam nirgendwo so recht Stimmung auf. Am ehesten noch draußen bei den Imbißbuden, gab es da doch nicht nur das übliche Stadtfest-Einerlei mit Chinesischen Reispfannen und Chili con Carne, sondern auch Pfälzer Saumagen, Weißwürste aus Bayern, Flensburger Bügelbier ... In Saarbrücken kam allerdings selbst das Innenstadt-Gelage nicht in Schwung, wie die „Saarbrücker Zeitung“ berichtet: „Die sonst so trink- und eßfreudigen Saarländer zeigten der Einheit die kalte Schulter.“ Gerade mal 30.000 hätten bis zum Nachmittag in die City gefunden. Schließlich sei 1957 der Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik auch nicht groß gefeiert worden, so die Begründung. Dabei ließ der Einheits-kritische Ministerpräsident Lafontaine ohnehin weniger das geeinte Deutschland hochleben, als mit zahlreichen ausländischen Kulturveranstaltungen und Gästen ein geeintes Europa.

In Hamburg rissen sich nicht mal die zur Einheitsfeier geladenen „verdienten Bürger“ zusammen: ganze Stuhlreihen blieben leer im sogenannten „Volksblock“. Dabei hatte Bürgermeister Voscherau schon früh deutlich gemacht, daß er keine „nationale Nabelschau“ wünsche. Er nannte das erste Jahr der Einheit „ein Jahr der Ernüchterung“.

„Katerstimmung trotz Kaiserwetter“ auch in Schwerin, berichtet die Korrespondentin der „Frankfurter Rundschau“. Diese Katerstimmung allerdings blieb in allen drei Städten vage, den Gegendemonstrationen schlossen sich nur wenige BürgerInnen an. In Saarbrücken versammelten sich gerade mal 200 AntifaschistInnen am Tag vor der Einheitsfeier. Am 3. Oktober störten einige wenige Kleingruppen. Sie kamen zum Teil bis in die Nähe der Ministerpräsidenten Lafontaine und Scharping und wurden von der Polizei abgedrängt. Laut „Saarbrücker Zeitung“ kam es zu „Zwischenfällen“. 44 Menschen wurden festgenommen. Die Polizei fuhr den größten Einsatz aller saarländischen Zeiten, so ein Sprecher, wurde außerdem verstärkt durch Einheiten aus Rheinland-Pfalz und einen Hubschrauber, der ständig über der Festzone kreiste und Luftaufnahmen an die Einsatzzentrale übermittelte.

Völlig friedlich hatten dagegen in Hamburg 5.000 Menschen demonstriert. Sie folgten dem Aufruf eines losen Bündnisses zum Beispiel aus AntiFa-Gruppen, Ausländerinitiativen, Alternativer Liste und forderten „Bleiberecht ist Menschenrecht“. Die Demo gelangte immerhin in die Nähe des Rathausmarktes. In Schwerin hatten zwar einheimische Autonome sogar die Domtreppen besetzt, um Kohl gleich beim Verlassen des Doms ihren Protest entgegenzuschleudern. Allein: Der Kanzler wurde zu einem Seiteneingang hinausgeschleust. Irgendwann flogen Farbeier und Flaschen. Die Polizei nahm 114 StörerInnen fest.

Sowas mußte die DGB-Gegenkundgebung in Schwerin nicht fürchten: Sie hatte sich jenseits des großen Schweriner Innenstadtteiches plaziert. Wurde dort aber auch nicht weiter wahrgenommen. Wesentlich wirksamer dagegen die Aktion einer einzelnen Schweriner Bürgerin: die stellte Lautsprecher ins Fenster und beschallte den Festplatz mit der „Internationalen“.

cis