Der lange Weg zur Freiheit Von Andrea Böhm

Moralisten jeglicher Couleur sind an sich schon ein Problem. Wenn sie in meiner Nachbarschaft auftauchen, finde ich sie noch viel schlimmer. Fairfax County ist eine Vorortgemeinde von Washington – mit allen Einrichtungen, die eine Gemeinde zum Wohl ihrer Bürger anbietet, wenn sie genügend Steuern eintreiben kann: Schwimmbäder, Sportplätze, Schulen, Freizeitheime und eine Bücherei. Deren MitarbeiterInnen haben bislang ein relativ ruhiges Leben geführt – bis eine von ihnen auf die Idee kam, dem Bestand von zwei Millionen mehr oder weniger gehaltvollen Werken ein Buch mit dem Titel „Long Road To Freedom“ hinzuzufügen. Zu deutsch: „Der lange Weg zur Freiheit“. Das klingt richtig schön und patriotisch, doch dummerweise verbirgt sich hinter dem Titel nicht das 275. Opus zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, sondern die Geschichte der Schwulen- und Lesbenbewegung.

Seitdem laufen christliche Fundamentalisten oder „christliche Aktivisten“, wie sie sich selbst gern nennen, Sturm gegen die Bibliothek. Nein, verbannen möchten sie das Buch nicht. Aber die Bibliothek möchte gefälligst eine geschlossene Abteilung für Pornographie einrichten, zu der Jugendliche keinen Zutritt haben. Denn auf dem langen Weg zur Freiheit tauchen ein paar nackte Männer und Frauen auf, von denen einige in dem gleichnamigen Buch abgebildet sind. Das ist nach Ansicht meiner christlichen MitbürgerInnen erstens eine unzulässige Verwendung von Steuergeldern und zweitens eine potentielle Gefahr für ihren Nachwuchs.

Das Geld hätte man vielmehr für „Das Buch der Tugenden“ aus der Feder des republikanischen ehemaligen Erziehungsministers William Bennett – eine Kollektion von banalen bis reaktionären Plattitüden über Sitte, Anstand und Selbstverantwortung, ohne die der fortschreitende Verfall des Landes angeblich nicht mehr aufzuhalten ist. Die einzig tröstliche Nachricht in diesem Zusammenhang besteht darin, daß ihr Autor unlängst angekündigt hat, 1996 nicht für das Amt des Präsidenten zu kandidieren.

Sollte sich nun der Ankauf von moralisch zersetzender Literatur nicht verhindern lassen, dann möchten meine christlichen MitbürgerInnen für jedes „homosexuelle“ Buch einen „Gegentitel“ angeschafft wissen. „Alfie's Home“ zum Beispiel, in dem ein schwuler Mann von einer treusorgenden Ehefrau wieder „kuriert“ wird. Das entspricht ganz dem christlich- fundamentalistischen Glauben, wonach es sich bei Homosexualität um eine gesundheitsschädigende Angewohnheit wie das Rauchen handelt. „Und das kann man sich ja auch wieder abgewöhnen“, erklärte mir ein Baptistenpfarrer. Diese Analogie wird um so bedrohlicher, wenn man weiß, was in den Vereinigten Staaten derzeit mit Rauchern angestellt wird. Die einzig tröstliche Nachricht besteht in diesem Fall darin, daß nicht alle Baptisten solchen Schwachsinn glauben.

Die BibliothekarInnen in Fairfax County müssen sich nunmehr überlegen, wie sie ihre moralintriefenden Kritiker abschütteln. Warum den Spieß nicht einfach umdrehen und für die „christlichen Aktivisten“ einen eigenen Lesesaal einrichten? „Alfie's Home“ steht dann an der Tür, um die Orientierung zu erleichtern.