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: Gong gegen Ohren

■ "Weniger Arbeit trotz Aufschwung? Hearing zur Wahl" / "Wer soll regieren"

„Weniger Arbeit trotz Aufschwung? Hearing zur Wahl“, Mo., 20.25 Uhr, ZDF; „Wer soll regieren?“, Mo., 22.15 Uhr, Sat.1

Vor gerade einem Monat hat der Bonner Graf, der das offene Wort nicht scheut, Sat.1 eine „Wahlwerbeveranstaltung für den Bundeskanzler“ genannt. Offenbar hat sich Leo Kirch daraufhin seine Gedanken machen lassen, wie dieser Eindruck zu verwischen sei. Am Montag konnten wir das Ergebnis bestaunen: Höflichkeit, Ausgewogenheit, Langeweile. Die Zahnlosigkeit von Heinz Klaus Mertes, sonst nur bei den Konservativen als devoter Frager bekannt, bleckte diesmal in alle Richtungen. Die Fraktionsvorsitzenden Schäuble und Klose durften zu allem mal was sagen. Auf sinnige Fragen dumme Antworten geben („Warum Regierungswechsel? Klose: „Weil zwölf Jahre Regierung genug sind“) oder auf dumme Fragen höflich bleiben („Was werden Sie tun, wenn's am Wahlsonntag um 18.30 Uhr knapp wird?“ Schäuble: „Ich werde auf das Ergebnis warten“).

Der angekündigte Erich Böhme kam nicht, und Ulrich Meyer absolvierte sein Klose-Interview wie eine Pflichtübung. Acht Minuten blieben dann noch für einen unmoderierten Streit zwischen den Fraktionsvorsitzenden. Doch die beiden dachten gar nicht daran, sich weh zu tun: „Wenn wir an unsere gemeinsame Kernenergievergangenheit zurückdenken...“, ließ sich Klose vernehmen. Doch da hatten die meisten wohl längst abgeschaltet.

Beim ZDF dagegen ließ man sich diesmal etwas Neues einfallen. Ein klares Thema – und, vor allem, einen Zirkusdirektor mit ehrfurchteinflößendem Riesen- Gong. Der hielt tatsächlich die sechs geladenen Politiker im Zaum. Ob 3 Minuten oder 30 Sekunden – jeder wußte, daß danach das Mikro abgedreht und sein Bild ausgeblendet wurde. „Herr Rexrodt, unterhalb von 1,30 bitte.“ Mit solchen Vorgaben kommen tatsächlich knapp- präzise Kontroversen zustande. Da mußte sich Waigel von alten CDU-Wahlversprechen distanzieren („dafür bin ich nicht verantwortlich“), Blüm sich mit Zahlen jonglierend und gestikulierend gegen gedächtnisschwache Ostrentner im Publikum wehren, deren Renten seit der Vereinigung angeblich „nur wenig erhöht“ wurden.

Merke: Beim Sprung von der Kanzlerpropaganda zur spannenden Wahlinformation muß Sat.1 die erste Reihe weiter suchen. Michael Rediske