Große Ohren

■ Irans Mullahs wissen noch nicht, ob sie Satellitenfernsehen tolerieren oder als Teufelswerk verbieten sollen, wie ihre saudiarabischen Nachbarn es taten

Eine der heißesten Debatten dieses Jahres im Iran war die Frage, was eigentlich aus den Parabolantennen werden soll. Alles hatte mit einer einigermaßen verwirrenden Stellungnahme des Innenministers Ali Mohammad Besharati zur Gesetzmäßigkeit der „großen Ohren“ angefangen, die überall im Lande auf Dächern und Fenstersimsen wachsen und der iranischen Bevölkerung unbegrenzten – und unzensierten – Zugang zu internationalen Programmen gewähren, vom Schulfernsehen bis zum Hardcoreporno.

Statistiken existieren nicht, aber Schätzungen besagen, daß mehr als 500.000 Haushalte allein in Teheran mit einer inländisch produzierten Variante der Schüssel ausgestattet sind. Die Preise dafür reichen von 200 bis 4.000 US-Dollar, (wobei der Dollar 2.500 iranische Rial wert ist), je nach Kapazität und technischen Daten.

Dem saudischen Beispiel folgen?

Anders als die Regierung in Saudi- Arabien, die sofort die Satellitenantennen verbot, ist der Iran noch hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Lösungen des Problems der unerwünschten Folgen solcher Art Himmelssendungen. Soll man dem saudischen Beispiel folgen oder die Antennen legalisieren – oder alles lassen, wie es ist, ambivalent nämlich?

Besharatis erster Versuch war, die Schüsseln für illegal zu erklären und ihre Entfernung zu fordern. Der Minister steht dem starken Mann des Regimes, Präsident Ayatollah Ali Chamenei nahe, dessen Widerstand gegen alles Westliche und Nicht-Islamische bekannt ist.

Nachdem Kritik laut wurde, ein Verbot der Antennen könnte negative Folgen haben, machte der Minister einen Rückzieher und behauptete, er sei mißverstanden worden. „Antennen sind nicht ungesetzlich, aber ihr Gebrauch muß reguliert werden. Das Kabinett diskutiert die Angelegenheit und wird in zwei Monaten ein Gesetz hierzu verabschieden“, sagte er der offiziellen, englischsprachigen Teheran Times.

Dies wiederum empörte die konservativen Mullahs und alle, die ihrer Pressekampagne zum Verbot der Antennen gefolgt waren, die sie als „anti-islamisch“ gebrandmarkt hatten. „Nein!“ proklamierte Jomhuri Eslami, die erzreaktionäre Zeitung von Ayatollah Chamenei, die sich an den harten Kern der linientreuen Islamisten wendet. „Die Behörden sind einstimmig der Meinung, daß die durch Satellit gesendeten Programme schädlich und unmoralisch sind und daß man streng gegen sie vorgehen muß.“

Andere Zeitungen jedoch, angeführt von der Tageszeitung Abrar, machten sich die Verwirrung der Stunde unter allgemeinem Beifall der Allgemeinheit zunutze. Sie initiierten eine öffentliche Debatte, die mit einem uneingeschränkten Ja zur Antenne endete.

In einem Kommentar unter der Überschrift „Die Augen zu schließen, nützt gar nichts“ forderte Abrar die Politiker auf, keine Angst vor modernen Technologien zu haben. „Wer sich die Welt ohne Scheuklappen ansieht, weiß, daß man moderne Technologien wie die Satellitenantenne nicht bekämpfen kann. Heute ist die Antenne noch groß und nicht zu übersehen. Aber was soll die Antwort sein, wenn sie im Miniformat zu haben ist? Und was sollen wir mit den vielen Millionen iranischer Bürger machen, die in Grenzgebieten leben und deshalb ohnehin die Fernsehprogramme der ausländischen Nachbarn auch ohne Satellitenantenne empfangen können? Sind diese Mitbürger nun alle korrumpiert worden?“

In Fortsetzung ihrer Kampagne ging Abrar, die der mächtigen Gemeinde der Geschäftsleute nahesteht, mit den Politikern streng ins Gericht. Sie schrieb ihnen ins Stammbuch, daß es „demütigend ist für eine so große Nation wie den Iran, der in der Vergangenheit zur Weltkultur so viel beigetragen hat, in dieser Sache ausgerechnet dem saudischen Beispiel zu folgen“.

Minister und Abgeordnete machten auf beiden Seiten der Debatte munter mit. „Vom Gesichtspunkt des Gesetzes aus ist der Besitz einer Satellitenantenne kein Verbrechen; außerdem ist es ohnehin nicht möglich, sie vollkommen zu verhindern, selbst wenn wir unsere gesamte Armee damit beschäftigen wollten“, schrieb der Justizminister Hojatoleslam Esmail Shushtari. Ein Abgeordneter schäumte darauf: „Wir können nicht zulassen, daß unser Volk durch schädliche und korrumpierende Fernsehprodukte, die unser islamisches System nur zersetzen wollen, vergiftet wird“.

Moral Majority für Schüsseln

Die Moral Majority wurde wohl am besten in Allo Salam, einer populären Kolumne in der „linken“ Salam repräsentiert, die im Iran wegen ihrer intellektuellen Eigenständigkeit bekannt und beliebt ist: „Der Innenminister sagt, daß die Schüsseln verboten werden müssen, weil sie die „physische Potenz“ zur Korrumpierung haben. Wenn das so ist, sollte man sogleich jeden einzelnen Mann und jede einzelne Frau dieses Landes hinter Gitter bringen, denn sie besitzen die „physische Potenz“ zur Prostitution. – Kann man dem Innenminister bitteschön mitteilen, daß man am besten mit der kulturellen Aggression (des Westens) fertig wird, indem man eine Mauer um den Iran bis in den Himmel baut, dann allen Iranern bei Strafe der Entleibung verbietet, sich jenseits dieser Mauer zu begeben, und allen Reisenden unter selbiger Drohung verbietet, ausländische Bücher, Zeitungen und andere Produkte ins Land zu bringen?

Extrem unpopuläre Maßnahme

Nur dann kann er sicher sein, daß er die kulturelle Offensive siegreich zurückgeschlagen hat. – Neunzig Prozent aller Sendungen, die per Satellit ins Land kommen, sind äußerst lehrreich und nützlich. Und was die anderen zehn Prozent betrifft, kann man getrost davon ausgehen, daß die, die sich so etwas gerne ansehen, so oder so, zum Beispiel über Video, an sie herankommen werden. Als Elektroingenieur kann ich Ihnen versichern, daß es keine sichere Methode zur Bekämpfung der Satellitenantennen gibt. In weniger als fünf Jahren werden alle neuen Fernseher die Programme sowieso direkt empfangen können. Was werden die Behörden dann machen? Vielleicht die Satelliten abschießen?

Die Antennen zu verbieten wäre eine extrem unpopuläre Maßnahme, und ihre Abbau würde zu massenhaften Zusammenstößen zwischen Besitzern und der Polizei führen. Leute könnten ums Leben kommen. Muß die Regierung die Leute wirklich noch wütender machen als sie sowieso schon sind?“ Safa Haeri

Safa Haeri ist freier Journalist in Paris. Er schreibt, vor allem über den Iran, in L'Express (Paris) und dem Independent (London)