Dezemberfieber in Arolsen

Der Bundesrechnungshof in Frankfurt / Besuch bei der unbekannten Behörde, die kontrolliert, warum, wie, wo und für was zuviel Geld ausgegeben wird  ■ Von Heide Platen

Der Bundesrechnungshof ist eine unbekannte Behörde. Dabei liefert er jedes Jahr die neuesten Meldungen aus dem Verschwendungswesen des bundesdeutschen Staatsapparats. Das ärgert die Bürger. Aufgeblähte Verwaltungen vergeuden Steuergelder, dem Bundesrechnungshof bleibt, dazu alljährlich seine Bemerkungen zu veröffentlichen.

So erfuhr die Öffentlichkeit im letzten Jahr von jenem wundersamen „Dezemberfieber“, das wieder einmal die Beamten des Internationalen Suchdienstes in Arolsen, Niedersachsen, erfaßt hatte. Um ihren Jahresetat nicht zu unterschreiten, kauften sie exzessiv ein, zahlten Rechnungen weit im voraus und legten beim Reisebüro einen Hamstervorrat Flugtickets an. 1989 gekaufte Spezialkameras lagen noch zwei Jahre später unausgepackt herum.

Wer oder was also ist der Bundesrechnungshof? Ein Kollege moniert nach einer Umfrage: „Der ist jeden zweiten Tag in den Schlagzeilen, und eigentlich weiß kein Mensch, was die da machen.“

Jedenfalls steht der Bundesrechnungshof als „unabhängiges Organ der Finanzkontrolle“ im Grundgesetz. Dazu kommen ein Gesetz über die Behörde und ihre Geschäftsordnung. Seine Mitglieder sind, wie Richter, unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet. Seine Geschichte ist mittlerweile 280 Jahre alt. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. rief 1714 in Berlin eine „General-Rechen- Kammer“ zusammen, die der höfischen Verwaltung auf die Finger sehen, Rechnungen kontrollieren und eigene Vorschläge machen sollte. 1818 zog die spätere Oberrechnungskammer nach Potsdam um. Einnahmen und Ausgaben wurden nachträglich auf ihre formale und rechnerische Richtigkeit untersucht. Friedrich II. widmete diesem Geschäft viel Aufmerksamkeit: „Man wird sagen, die Rechnungen langweilen mich. Ich erwidere: Das Wohl des Staates erfordert, daß ich sie nachsehe, und in diesem Falle darf mich keine Mühe verdrießen.“

1948 wurde Frankfurt am Main Standort für den Vorläufer des Bundesrechnungshofes, der 1950 eingerichtet wurde. Seither prüft er die Ausgaben des Bundes, seiner Unternehmen „von den Saarbergwerken bis zur Lufthansa“, seiner Behörden und der Sozialversicherungsträger. Jährlich berichtet er Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung mit seinen Bemerkungen und berät Ausschüsse und Abgeordnete des Parlaments. Seit 1987 erscheinen „besonders bedeutsame Gutachten“ in einer eigenen Schriftenreihe, in die auch die Privatwirtschaft gern hineinsieht.

Daß es die Bemerkungen in sich haben, zeigt eine Auswahl der letzten Jahre zu so skandalträchtigen Themen wie den Konzessionen von Autobahnraststätten, der deutschen Beteiligung am Bau des Kampfflugzeugs „Jäger 90“, überflüssige Nachrüstung von DDR- Panzern und die Bewertung der Unternehmensprivatisierungen durch die Treuhand in den neuen Bundesländern. Da lagerte zu viel Treibstoff in Bundeswehr-Vorratslagern, war die begonnene Entwicklung eines Waffensystemes überflüssig, sammelte der Deutschlandfunk unzulässig Vermögen an, plante die Post bei der Datenverarbeitung fehl, wurden veraltete oder überflüssige Kriegsschiffe, Hubschrauber und Kampfflugzeuge nicht aus dem Verkehr gezogen.

Furore machte auch die Entdeckung, daß auf Bankkonten Millionen Mark nicht abgeholter Rentenschecks aufliefen, ohne daß die Geldinstitute sie rücküberwiesen, geschweige denn Zinsen zahlten. Für die Bahn tüftelten die Prüfer eine billigere Streckenführung zwischen Berlin und Hamburg aus, die noch dazu zehn Minuten schneller ist. Die Bahnschelte richtete sich auch gegen das neue Gepäck- und Expreßgut-System: „Die Selbstkosten waren mehr als doppelt so hoch wie die Erlöse.“ Bei den Beamten eckten die Prüfer durch Kritik an den zu hohen Kosten von Auslandsreisen an, bei denen in „Hotels mit 5-Sterne-Luxus“ übernachtet und „à la carte“ gespeist werde.

An Lufthansa und Bahn hält der Bund die Mehrheitsanteile, der Bundesrechnungshof muß deshalb „die Sichtweise des Kapitaleigners auf den Aufsichtsrat“ einnehmen. Während er sonst Zugang zu den Dienststellen hat, muß er sich hier auf die Wahrung des gesamtunternehmerischen Interesses des Bundes beschränken. In der Fachsprache heißt das, die Prüfer müssen sich auf die Beteiligungsprüfung beschränken, während sie vorher auch Haushalts- und Wirtschaftsprüfung vornehmen konnten.

Horst Erb ist Presserefent im Büro der Präsidentin, die auch kaum einer kennt. Die Juristin Hedda Czache-Meseke, auf Vorschlag der Bundesregierung vom Parlament für zwölf Jahre gewählt, ist in der Geschichte des Bundesrechnungshofes die erste Frau an der Spitze. Sie ist 54 Jahre alt, war Staatssekretärin im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium und leitet seit Dezember 1993 das Amt, in dem 630 Menschen arbeiten. Sie werden von den 2.400 Vorprüfern unterstützt, die ihren Arbeitsplatz in den Bundesbehörden in der ganzen Republik haben, von diesen auch bezahlt werden, aber zur internen Kontrolle der Verwendung oder Verschwendung der Steuern dem Bundesrechnungshof unterstehen. Die Vorprüfer im Land achten in eigener Regie auf Fehlentwicklungen. Das führe, sagt Erb vorsichtig, zu einer „gewissen Konfrontation, aber nicht grundsätzlich zu Aversion“.

Daß sich der Bundesrechnungshof selber rechnet, zeigt die Bilanz des Jahres 1990, in der Vorschläge für Einsparungen und Mehreinnahmen in Höhe von zwei Milliarden Mark enthalten sind. Stolz heißt es dazu in einer Broschüre: „Damit bringt der Bundesrechnungshof viel mehr herein, als er kostet.“ Die Behörde will nicht nur kritteln, sondern „vor allem Schaden vermeiden“, oder, da spricht die Alltagserfahrung, „verringern“ und „Leistungen verbessern“.

Wer was untersucht, wird in einem Jahresarbeitsplan festgelegt, der bis zu 70 Prozent der Vorschläge der Mitglieder aufnimmt. Aber, so Erb, der Rechnungshof reagiert auch auf aktuelle Entwicklungen, auf Zeitungsberichte und auf jährlich etwa 500 Hinweise von Bürgern. Ansonsten achtet er auf eine gewisse thematische und geographische „Lückenlosigkeit“ und darauf, daß, „was lange nicht geprüft wurde“, nicht aus dem Blickfeld gerät.

Horst Erb hat trotz prüferischer Strenge Verständnis für das „Dezemberfieber“ aus Arolsen: „Das sind menschliche Mechanismen. Die haben Angst, daß es im nächsten Jahr weniger Geld gibt, wenn nicht alles ausgegeben wird.“ Er setzt außer auf die Verwaltungsreform, die Beamten mehr Spielraum in der Planung lassen soll, auch auf den Vorbildcharakter seiner Behörde: „Wir müssen hier vorleben, was wir nach außen predigen.“

Demnächst allerdings wird der Rechnungshof selber Kosten verursachen. Im Umzugskarussell soll er nach Bonn verlegt werden. Die Außenstelle wandert von Berlin nach Brandenburg. Das werde, fürchten Mitarbeiter, Personalprobleme geben. Denn beim Rechnungshof kann nicht einfach jeder anfangen.

Die Ansprüche an die, vor allem juristische, Qualifikation sind hoch. Die Unsicherheit über den Zeitpunkt des Umzugs mache das nicht einfacher: „Viele bewerben sich erst gar nicht mehr bei uns.“ Das wäre fatal. Anfänger haben keine Chance, mindestens ein Drittel der Mitglieder muß die Befähigung zum Richteramt vorweisen. Dazu kommen ausgefuchste Verwaltungshasen, Wirtschaftswissenschaftler und Experten aus allen technischen Bereichen. Gearbeitet wird „selbständig und häufig im Team“, und zwar mit „Flexibilität und Einfühlungsvermögen“.

Auf die Bonner Politik hat der Rechnungshof eher eine moralische Wirkung. Weisungen kann er nicht erteilen. Der Vorgänger von Hedda Czasche-Meseke, Heinz Günter Zavelberg, hatte das so formuliert: „Dem Bundesrechnungshof ist aus guten Gründen nicht die Befugnis zuerkannt ... Weisungen durchzusetzen. Er ist auf die Überzeugungskraft seiner Argumente angewiesen.“ Dabei, so Zavelberg, verstehe er sich nicht als „Gegenspieler“ von Staat und Verwaltung, sondern als „unparteiischer Partner und Helfer“.

Es sei aber schon öffentlichkeitswirksam, wenn ein getadelter Staatssekretär dem Parlament seinen Etat erklären müsse und anschließend sein Minister im Rechnungsprüfungsausschuß nach Konsequenzen gefragt wird. Dieser Ausschuß macht sich fast immer die Position der Prüfer zu eigen. Das fuchst die für ihre Dienststellen Verantwortlichen schon, und sie, ist Erb sich sicher, „reagieren auf die indirekte Weise und greifen von oben nach unten durch“.

Anders sieht es aus, wenn ein Minister selbst gewisse Ausgaben befürwortet wie zum Beispiel das Kampfflugzeug „Jäger 90“. Dazu hatte der Bundesrechnungshof drei Berichte an das Parlament geliefert. Erb: „Da ist unsere Macht zu Ende.“ Das Parlament muß über strittige Ausgaben politisch entscheiden: „Die Abgeordneten haben dann die Verantwortung vor dem Wähler.“ Nur hinterher kann wieder kontrolliert werden, ob der politische Wille kostengünstig umgesetzt wird und „ob die Ziele erreicht wurden und die Annahmen zutrafen“.

Das kann zum Beispiel bei einem Bauvorhaben schon mit der Frage anfangen, ob ein Grundstück anderswo preisgünstiger wäre, ob der Raumbedarf richtig dimensioniert ist und die Fassade stimmt. „Man kann Architektur nicht vollkommen verhindern“, lästert Erb, „aber am kostengünstigsten sind viereckige Gebäude ohne Firlefanz.“ Die Stellungnahme des Rechnungshofes zum Schürmann- Bau, sagt Erb, sei nicht „von uns veröffentlicht worden“, sondern durchgesickert. Grundsätzlich ist man in der Behörde jedoch nicht böse über Schlagzeilen: „Seither haben wir mehr Aufmerksamkeit und Eingaben.“

Das ist das Wesen des Bundesrechnungshofes: „Wir sind für die Öffentlichkeit immer dankbar, denn wir brauchen die Unterstützung der Menschen.“ Ob auch gute Vorschläge aufgegriffen werden? Da wird Erb ein wenig unwillig: „Es ist nicht unsere Aufgabe, Behörden zu loben, sondern deren Schwachstellen aufzudecken.“ Aber das geht auch versöhnlich: „Wir saugen daraus schon Honig, wenn hinterher Abgeordnete und Betroffene mit unserer Entscheidung zufrieden sind.“ Die nächsten Bemerkungen stehen für den 26. Oktober ins Haus.