Liegt Clinton in Jelzins Einflußsphäre?

Der russische Präsident darf aus seinem Washingtoner Quartier nicht nur das Weiße Haus bewundern, er will sein amerikanisches Gegenüber auch diplomatisch beeindrucken  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Protokollabteilung im Weißen Haus hat alle Hände voll zu tun. Denn der Gast aus Rußland erfährt dieses Mal eine Begrüßung mit allem, was die Zeremonienmeister aufzubieten haben: Empfang im Weißen Haus, gemeinsame Feier mit russischen und amerikanischen Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, Diner – und auch die Unterbringung hat sich verbessert. Beim letzten Mal mußte Präsident Boris Jelzin noch in der russischen Botschaft nächtigen. Dieses Mal steht ihm das Gästehaus der Clintons mit Blick auf das Weiße Haus zur Verfügung. Für protokollarisches Kopfzerbrechen dürften allenfalls der neuerdings unberechenbare Flugverkehr über dem Weißen Haus und Jelzins Vorliebe für alkoholische Getränke gesorgt haben. Daß der russische Präsident bei seinem letzten Deutschland-Besuch wieder einmal verdächtig heiter wirkte, hat sich auch in Washington herumgesprochen.

Boris Jelzin hat seine Position gefestigt, Rußlands innenpolitische Konflikte haben sich deutlich entspannt, wirtschaftliche Reformen sind vorangekommen – und vor diesem positiven Gesamtbild möchte Washington nicht nur den russischen Gast ehren, sondern der eigenen Öffentlichkeit auch klarmachen, daß es einen außenpolitischen US-Erfolg zu feiern gilt: An Jelzin in allen Krisenzeiten festzuhalten, hat sich gelohnt. Noch vor fast genau einem Jahr, als der russische Präsident Order gab, das Parlamentsgebäude in Moskau zu beschießen, war man sich da in Washington noch keineswegs so sicher.

Die neuen alten Moskauer Machtansprüche

Vor diesem Hintergrund ist man in der Clinton-Administration offensichtlich auch bereit, neue – oder alte – Machtansprüche Moskaus zu tolerieren. In seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung am Montag machte Boris Jelzin deutlich, daß Rußland die umliegenden Nachbarstaaten als seine „Einflußsphäre“ ansieht. Konflikte auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion seien eine Sicherheitsbedrohung „unseres Staates“. Vor der UNO wiederholte Jelzin auch jene Warnung, die letzte Woche bereits der russische Geheimdienstchef Jewgeni Primakow ausgesprochen hatte: Bestrebungen des Westens, die Reintegration ehemaliger sowjetischer und heute selbständiger GUS-Republiken zu verhindern, seien „gefährlich und sollten neu überdacht“ werden.

Als Wiederbelebung imperialer Träume will man solche Worte in Washington nicht verstanden wissen. Wer Jelzin solche unterstelle, erklärte ein US-Regierungsbeamter, der müsse sich fragen lassen, „ob mittlerweile nicht doch eine sehr viel ausgewogenere Diplomatie stattfindet“. Die ausgewogenere Diplomatie zwischen Moskau und seinen Nachbarstaaten reicht aber offenbar nicht aus, um die USA zu neuen Abrüstungsinitiativen zu bewegen. Denn kurz vor Jelzins Ankunft verkündete die Clinton-Administration auf Empfehlung des Pentagons, zwar die Zahl der nuklear bestückten U-Boote und B-52-Bomber abzubauen, die Zahl der atomaren Sprengköpfe jedoch unverändert zu lassen. Der ursprüngliche Plan, das Arsenal der ballistischen Interkontinentalraketen vom Typ „Minuteman“ von 500 auf 300 zu reduzieren, wurde verworfen.

Zum Thema Abrüstung und Sicherung nuklearen Materials wollen Jelzin und Clinton zum Abschluß ihres Treffens eine Erklärung unterzeichnen. Jelzin sagte zudem in New York, er wolle mit Clinton einen umfassenden Vertrag zum Bann von Atomwaffentests vorbereiten, damit ein entsprechendes Dokument nächstes Jahr anläßlich des 50. Geburtstages der Vereinten Nationen unterzeichnet werden könne.

Erstes Ergebnis: Weniger US-Abrüstung

Der größte aktuelle Streitpunkt zwischen Moskau und Washington ist – neben der Debatte um den Nato-Beitritt Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik – die Frage des Waffenembargos gegen Bosnien. Sie ist im Vorfeld etwas entschärft worden. Auf Drängen des US-Kongresses hatte Clinton versprochen, bei der UNO auf eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnische Regierung zu drängen, wenn die bosnischen Serben nicht bis zum 15. Oktober dem sogenannten „Friedensplan“ zustimmen. Für Jelzin ist dies ebenso indiskutabel wie für Frankreich und Großbritannien. Nun hat die bosnische Regierung unter Präsident Alija Izetbegović selbst dem US-Präsidenten aus der Klemme geholfen, indem sie nicht mehr auf dem 15. Oktober als Stichdatum besteht. In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung forderte Clinton – gewissermaßen als Gegenleistung – am Montag die UNO auf, die Belagerung Sarajevos notfalls mit mehr Einsatz militärischer Gewalt aufzuheben.

Die vielen außen- und sicherheitspolitischen Schlagzeilen im Zusammenhang mit dem Besuch Jelzins täuschen allerdings nicht darüber hinweg, daß Kontakte mit US-Investoren auf der Prioritätenliste des russischen Präsidenten ganz oben stehen. In New York traf er sich bereits mit den Aufsichtsratsvorsitzenden mehrerer großer US-Firmen und Konglomerate, darunter David Rockefeller von der „Rockefeller Group“ und Dwayne Andreas, Chef des Agrarkonzerns „Archer Daniel Midland Company“. Berichten der New York Times zufolge sollen die Amerikaner vom Optimismus und dem Privatisierungsdrang des russischen Präsidenten beeindruckt gewesen sein. Nach Beendigung des politischen Programms in Washington reist Jelzin morgen nach Seattle, um dort Wirtschaftsgespräche mit sechs Gouverneuren nordwestlicher Bundesstaaten sowie Vertretern der Firma Boeing zu führen.