■ Cash & Crash
: Grüße von der Titanic

Der Aufschwung ist für die Börse schon vorbei, das Geschäft ist flau. Der Deutsche Aktienindex sank gestern von 2057,83 auf 2051,71 Punkte. Das ist noch viel zuwenig für eine ordentliche Spekulation auf die Baisse. Abwarten. Gelangweilt wetten die Broker in dieser Woche lieber auf den Ausgang der Bundestagswahl. Andrew Bosomworth, Analytiker der Merryl Lynch Bank in Frankfurt, tippt mit 60 Prozent Wahrscheinlichkeit auf einen Sieg der Christdemokraten.

Aber 60 Prozent für Kohl sind auf dem Börsenparkett soviel wie 40 Prozent gegen die Freidemokraten. Ausländische Anleger warten da doch lieber ab. Ziemlich grauenvoll erscheint ihnen vor allem die Vorstellung, daß Gysi kommt, wenn Kinkel geht. Allein wegen der Wahl in Bayern hat die Mark gegenüber dem Schweizer Franken fast einen Pfennig an Wert verloren.

Lohnender könnte da schon die britische Touristikbranche sein. Eine Studie kommt zum Schluß, daß zum Ende des Jahrzehnts die Industrie der Insel nur noch einen von acht Arbeitsplätzen stellen wird. Das größte Wachstum wird im Hotel-, Gaststätten- und Reisegewerbe erwartet. Die Branche setzt auf den Kanaltunnel, den sie für ein überwiegend britisches Produkt mit unwichtigen französischen Zutaten hält. Sie irrt wie die meisten Anleger, die in die Chunnel- Kapitalgesellschaft investiert haben. Sie haben nur bezahlt, gebaut haben die Iren. Seit dem Untergang der Titanic ist das Risiko unkalkulierbar – auch dieses Tourismusprojekt scheiterte an der irischen Werft, die das Schiff gebaut hatte. Unter dem Kanal tropft jetzt Salzwasser in die Tunnelröhren. Woher es kommt, ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Die Antwort der Londoner Börse war eindeutig. Die Tunnelaktie fiel um 6 Prozent. Die paar Tropfen Meerwasser seien vollkommen ungefährlich, versichern Betreiber, der geplanten Eröffnung des Jahrundertwerks für die nächste Urlaubssaison stehe nichts im Wege. Spekulanten haben die billigen Aktien prompt gekauft und den Kurs wieder um sieben Prozent hochgetrieben.

Noch böser erwischt hat es gestern die Frankfurter Metallgesellschaft, die im letzten Winter nur knapp dem Konkurs entkam. Zwei amerikanische Wirtschaftsprofessoren bescheinigten in einer Untersuchung der Firma noch in diesem Juli, daß sie heute eine Strategie der Verlustbegrenzung verfolge, die geradezu aus dem Schulbuch abgeschrieben sei. Aber nun hat sich auch Professor Merton Miller mit den Ölspekulationen auf dem amerikanischen Markt befaßt, die den Deutschen einem Gesamtverlust von zwei Milliarden Mark eingebracht haben. Miller ist Träger eines Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft. Schon die Ankündigung, daß seine Studie, die sich mit den Managementfehlern der Vergangenheit befaßt, in der nächsten Ausgabe des Journal of Aplied Corporate Finance veröffentlicht wird, ließ den Kurs der Metallgesellschaft- Aktie um elf Prozent nach unten sacken. Niklaus Hablützel