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US-Soldaten übernehmen Cafeteria

■ Mit der Besetzung des Polizeihauptquartiers von Port-au-Prince, eines früheren Cafs, sind die USA symbolisch und faktisch und entgegen dem Carter-Abkommen zur eigentlichen Ordnungsmacht in Haiti ...

Mit der Besetzung des Polizeihauptquartiers von Port-au-Prince, eines früheren Cafés, sind die USA symbolisch und faktisch und entgegen dem Carter-Abkommen zur eigentlichen Ordnungsmacht in Haiti geworden / Die Haitianer sind begeistert

US-Soldaten übernehmen Cafeteria

Die US-amerikanische Präsenz in Haiti steht an einem Wendepunkt. War in dem Abkommen, das US-Vermittler Jimmy Carter mit den Militärmachthabern in Port-au-Prince ausgehandelt hatte, noch vom Willen zur Kooperation mit den Militärs die Rede, und wurde in den ersten Tagen der Landung noch herzlich mit Putschgeneral Cédras konferiert, so ist der haitianische Staatsapparat jetzt deutlich auf dem Rückzug.

In Port-au-Prince übernahmen die US-Truppen am Montag unter dem Jubel Tausender HaitianerInnen das berüchtigte Polizeihauptquartier. Das Haus war der Sitz von Polizeichef Michel-Joseph François, der gemeinsam mit den Generälen Cédras und Biamby einer der drei Protagonisten des Putsches vom 29. September 1991 war. Im Unterschied zu Cédras und Biamby ist François nach der Landung der US-Truppen in Haiti untergetaucht.

Vom Polizeihauptquartier war der Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Jean- Bertrand Aristide ausgegangen. Im Volksmund heißt das 1935 errichtete Gebäude nach seiner ursprünglichen Bestimmung „cafétéria“. Seit 1991 war die „cafétéria“ ein Synonym für Repression geworden. Während der Militärherrschaft der letzten Jahre wurden in den fensterlosen Zellen des Hauses Hunderte von Oppositionellen gefoltert.

Vor der Übernahme durch die US-Einheiten hatten Aristide-Anhänger vor dem Gebäude demonstriert. Die haitianische Polizei hatte reagieren wollen wie gewohnt: „Wenn die Leute hier nicht verschwinden, könnten meine Truppen sehr ärgerlich werden“, drohte der Kommandeur der „cafétéria“ vor den Mikrophonen ausländischer Reporter. In der vergangenen Woche war die Polizei überaus brutal gegen Demonstrierende vorgegangen. Aber unter den Augen der inzwischen offenbar mit geändertem Einsatzbefehl versehenen US-Patrouillen gelingt es den Noch-Regierenden um General Raoul Cédras und Marionettenpräsident Emile Jonaissant immer weniger, das daraufhin verhängte Demonstrationsverbot durchzusetzen.

Nachdem es am Samstag in Cap-Haitien, der zweitgrößten Stadt Haitis, zu einem ersten Feuergefecht zwischen US-Soldaten und haitianischen Polizisten gekommen war, zogen sich inzwischen die haitianischen Polizisten aus der gesamten Nordregion weitgehend zurück. Weitere US-Einheiten werden dort stationiert, die nach und nach eine Polizeistation nach der anderen übernehmen. In Cap-Haitien hatten Demonstranten nach der Flucht der über 800 Polizisten und Militärs die Kasernen gestürmt und zahlreiche Waffen geplündert, von denen ein Großteil später an die US-Armee übergeben wurde.

Zwar sprach Verteidigungsminister William J. Perry noch vorgestern davon, die US-Truppen würden lediglich die haitianische Polizei überwachen, selbst aber keine Ordnungsaufgaben übernehmen. In Haiti selbst stellt sich die Lage jedoch ganz anders dar.

Haitianer verjagen haitianisches Militär

In Grande Rivière du Nord, einer kleinen Stadt im Norden Haitis, landeten die US-Truppen am Montag und begannen unter dem Jubelgeschrei versammelter DemonstrantInnen unmittelbar mit der Entwaffnung der dort stationierten haitianischen Militärs. 15 Kilometer entfernt, in der Stadt Limbe, feuerten haitianische Soldaten über die Köpfe einer Demonstration von Aristide-AnhängerInnen hinweg, die sich mit Steinwürfen anschickten, die Kaserne zu stürmen. Wenig später trafen US-Einheiten ein und übernahmen das Gebäude – die haitianischen Soldaten flohen, ohne daß es Opfer gegeben hätte.

Unterdessen hat das Oberkommando der haitianischen Armee aus der offenkundigen Niederlage eine Tugend gemacht und erklärt, einzig die US-Truppen wären in der Lage, die Ordnung im Norden des Landes aufrechtzuerhalten.

Auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York verkündete Präsident Bill Clinton am Montag die Aufhebung der von den USA zusätzlich verhängten Sanktionen gegen Haiti. UN- Botschafterin Madeleine Albright erklärte, die eingefrorenen haitianischen Guthaben in den USA würden wieder freigegeben, mit Ausnahme derer der Junta-Mitglieder allerdings. Auch der Charterverkehr aus den USA nach Haiti werde wieder beginnen. Clinton forderte alle anderen Staaten auf, diesem Schritt zu folgen.

In den USA geht derzeit die Debatte darüber weiter, wie lange der Militäreinsatz auf Haiti dauern soll. Verteidigungsminister Perry warnte den Kongreß davor, dem Einsatz schon jetzt ein zeitliches Limit zu setzen. Das, so Perry, würde die militärischen Operationen erschweren. „Wir haben jedes Interesse und den Wunsch, die Mission auszuführen und dann so schnell wie möglich das Land zu verlassen“, sagte Perry am Montag. Die US-Regierung geht von einer Dauer des Einsatzes bis mindestens Anfang 1996 aus. Bernd Pickert

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