Auf totem Geleise

■ Störungs- und wartungsfreie Kunst: Die Ausstellung zum Kunstprojekt „Entgleisungen“ empfängt die Reisenden auf drei Bremer Bahnhöfen

Auf dem Schienenwege Kunst unters Volk zu bringen – diese praktische Idee nutzten bereits die Kulturneuerer des revolutionären Rußland. Eine komplette Dampfeisenbahn diente den Künstlern als Vehikel, um Theater, Kino und Kunst noch in die entlegensten Gebiete des Landes zu bringen. Die Methode hat offenbar nichts von ihrem Reiz verloren: Drei Initiativen aus der alternativen Bremer Kunstszene versuchen nun das gleiche Kunststück, wenn sie unter dem Titel „Entgleisungen“ auf drei Bahnhöfen ihre Ideen exponieren. Aber so alt wie die Idee ist auch die ausgestellte Kunst: Was irritierend, fehl am Platze oder sonstwie originell wirken sollte, ist allenfalls von nostalgischem Reiz. Entgleisungen leistet sich niemand; hier läuft fast alles in geordneten Bahnen.

Dabei wollten die heimischen Kunstschaffenen eigentlich „die eingefahrenen Gleise der ästhteischen Wahrnehmung“ verlassen. So versprechen es die Initiatoren aus den „Kulturbahnhöfen“ Vegesack und Neustadt sowie aus dem „Lichthaus“. Kaum etwas von diesen wohlformulierten Versprechen wird in der Ausstellung eingelöst. Eingleisig folgen viele der Künstlerinnen und Künstler dem ausgelatschten Trampelpfad der klassischen Moderne. Herrn Duschamps hübsche Idee aus den 20ern, Gegenstände des Alltags einfach an einen anderen Ort zu verpflanzen und somit die Zeitgenossen zu irritieren – hier wird darauf, lange nach ihrem Ableben, wieder und wieder herumgeritten, so daß man bald von Leichenschändung sprechen muß. Da trollen sich ausgelatschte Treter und Koffer auf den Bahnsteigen, da hängt ein rostiger, offener Vogelbauer am Pfeiler, Fotos von Reisenden säumen den Weg. So kunstvoll traurig lungern die Objekte und Bilder da herum, daß sie sich in die satte Melancholie der Bahnhöfe nahtlos einpassen.

Noch schlichter kommt die Kunst auf dem Hauptbahnhof daher. Dort prangt eine holzgeschnitze Dame und harrt der Citybahn. Lebensgroß, grob holzgeschnitzt und ganz ihrem Schemel verwurzelt: Ein schönes Sinnbild für das Sitzfleisch dieser Kunstschaffenden. Von den hausbackenen Figuren eines Waldemar Otto oder der „Mudder Cordes“-Plastik in der City ist diese alternative Kunst nicht weit entfernt.

Wie einfach man die eingefahrenen Gleise doch verlassen könnte, zeigt hingegen eine hinreißend witzige Objektgruppe in Vegesack: Dort winken den Reisenden sieben lieblich rosa Kissen (bzw. deren Nachbildungen) entgegen. Auf stählernen Stühlchen sorgfältig drapiert, recken sie ihre Zipfel gegen den Vegesacker Himmel samt seiner kuschelweichen Schäfchenwolken.. Und da entgleisen prompt die Klischees – von der Vegesacker Schlafmützgkeit und der Biederlichkeit des Bremer Nordens.

Manches andere aber ist selbst nur bieder und brav. Die ganze Diskussion über Kunst im öffentichen Raum, wie sie in Bremen seit 20 Jahren geführt wird, ist an vielen dieser Kunstschaffenden offenbar vorbeigegangen. Oft wurde den Bremer Beiträgen dabei der Vorwurf gemacht, den Plätzen und Straßen nur ein weiteres, schmuckes Stück Stadtmobiliar zuzufügen, affirmativ, reizlos und wartungsfrei. Genau diese Kriterien erfüllt das Gros der neuen Bahnhofskunst. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die multimedialen Beiträge zum restlichen Programm der „Entgleisungen“. Thomas Wolff

Ausstellungen bis 15.10. im Hauptbahnhof, Vegesacker und Neustädter Bahnhof; nächste Veranstaltungen: Musik- und Tanz-Performances im „Lichthaus“ Gröpelingen, 30.9., ab 19 Uhr